Andreas Kurz: Singlemesse
Ich hab das jetzt auch mal ausprobiert. Single-Messe, klingt ja irgendwie ganz verheißungsvoll, so nach Eigeninitiative und Selbstvermarktung. Für Männer ist es zwar teurer als für Frauen, keine Ahnung warum, aber das Starterpaket gab’s schon für weniger als hundert Euro. Nur vier Quadratmeter, das ist nicht wirklich groß, aber ich wollte da auch nicht gleich mit dem Möbelwagen vorfahren müssen. Ab sechs Uhr morgens war Aufbau, ab zehn dann Publikumsverkehr. Ich hatte einen Klappstuhl und meine alte Gitarre dabei, ich dachte, das macht sich ganz gut, wirkt locker und so. Ich hatte ehrlich gesagt nicht lange darüber nachgedacht, war auch am Tag vorher etwas versumpft, wie das halt so ist, wenn man alte Kumpels trifft und keinen wirklichen Grund hat, nach Hause zu gehen.
Messehallen sind riesig, das weiß jeder. Aber wenn man erstmal vier Quadratmeter gebucht hat, Halle 7, Gang 34, Zelle 233 links, und selber drinsteht, denkt man anders. So ne Halle macht dich richtig fertig, ich meine, wenn man eh nicht über das Megaselbstbewusstsein verfügt so wie ich, dann erschlägt sie dich. Obwohl ich erst um acht Uhr kam, war ich noch viel zu früh. Ich musste ja nur den Stuhl aufklappen und mich draufsetzen, das war mein ganzes Konzept. Voll die natürliche Linie, soll ja jetzt wieder im Kommen sein. Ohne Zusatzstoffe, sozusagen. Im übertragenen Sinne.
Der Typ neben mir hieß Herrmann, hatte acht Quadratmeter und eine Ledercouch. Darauf drapierte der Angeber eine funkelnagelneue Stratofender E-Gitarre. Daneben der Kühlschrank, randvoll mit Prosecco-Fläschchen. Er wollte wohl so was wie der Vollprofi sein. Anfangs hielt er mich in meiner alten Jeans für nen Hiwi vom Messetrupp und quatschte mich an wegen irgendeinem Problem mit der Elektrik, das er nicht in Griff kriegte. Ich sagte, wir seien Nachbarn und streckte ihm die Hand hin, aber er verzog nur den Mund. Das wäre hier nicht üblich, meinte er, schließlich seien wir alle Konkurrenten und sich jeder selbst der Nächste. Ich schnitt ihm eine Grimasse. Er konnte mir den Buckel unterrutschen.
Gegenüber schlug ein schlaksiger Typ ein regelrechtes Zeltlager auf und machte ganz auf Wüstensohn, Lawrence von Arabien, oder was weiß ich. Selbst einen absurd schmutzigen Geländewagen hatte er mitgebracht auf seine größenwahnsinnigen vierzig Quadratmeter. Jeder hämmerte und zimmerte an irgendetwas herum, nur ich hatte nichts zu tun, saß auf meinem Stuhl und zupfte ein paar Standards auf der alten Klampfe. Meine Finger waren ziemlich eingerostet, schon früher hatte ich die Gitarre eher als Deko mit mir rumgeschleppt. Immer wieder musste ich Krempel über die am Boden aufgemalte Linie zurückschieben, man hätte mir sonst gnadenlos meine vier Quadratmeter auch noch weggenommen. Die meisten machten auf Originell und hatten sich ein Motto ausgedacht, Surf mit mir in die Zukunft oder ähnlicher Stuss, manches reimte sich sogar. Es gab Hallen für bestimmte Einkommensklassen und natürlich teilten sie es nach dem Alter ein. Ich war Sonstige über Vierzig, ein SüV, und ich brauchte nicht lange, um zu kapieren, dass das hier nicht die beliebteste Halle werden würde, in die sich die Mädels drängen. Mehr so die Loser und Sonderangebote-Ecke.
Es stank penetrant nach Aftershave und Duschgel. Als mich einer fragte, was denn mein Konzept wäre, er könnte es nämlich nicht erkennen, antwortete ich, mir sei es vor allem wichtig, natürlich zu wirken. Was das denn heißen soll?, fragte er daraufhin, da musste ich mit den Schultern zucken, ich hatte mir das nicht weiter überlegt. Ohne Konzept, meinte er überheblich, hätte ich hier keine Chance. Die Botschaft müsse sofort rüberkommen, in der ersten Sekunde, zack zack. Point of interest! Ob ich davon schon gehört hätte? Der Typ schnippte mit dem Finger und deutete stolz zu seinem Platz hinüber, über dem sich ein fettes Transparent spannte, neonfarbige Großbuchstaben: LOTHAR HAT DICH LIEB! Darunter wartete ein blutrotes Sofa in Herzform auf hübsche Hinterteile, und ein Sektkühler mit Fürst Metternich Aufdruck, stand auch noch rum. Zusätzlich zu dem allem trug der Kerl auch noch einen Blechbutton mit seinem eigenen Logo drauf. Es musste ein Vermögen gekostet haben.
„Das ist natürlich ein tolles Konzept“, lächelte ich ihn müde an, und er ließ mich mit den dünnen Worten stehen: „Das will ich meinen.“
Ich musste vor mir zugeben, dass es natürlich schon blöd war, eventuellen Interessentinnen nichts anbieten zu können. Da hatte ich nicht mitgedacht. Aus einem Automaten im Zwischengang zu den Toiletten zog ich mir eine Packung Gummibärchen, das hat früher immer ganz gut funktioniert. Das war zwar auf dem Schulhof gewesen, aber Mon Chéri waren schon aus. Um zehn ließen sie endlich die Frauen rein, und sofort brach ein ohrenbetäubender Lärm los. Nicht von den Frauen, versteht sich, das waren eh nicht viele, sondern auf den Ständen. Überall wurde Musik eingeschaltet, Gemafreies Gedudel, Durchsagen dröhnten, jeder fing wie am schwarzen Freitag an der Börse zu schreien an. Mindestens eine geschlagene halbe Stunde später irrte endlich mal das erste Doppel-X-Chromosom durch unseren Gang. Mein Nachbar riss gleich seine Stratofendersaiten durch, dass mein Trommelfell vibrierte, kreischende Rückkopplungen marterten unsere Ohren. Die Tussi waren wir daraufhin natürlich wieder los. Von gegenüber drohte ihm einer Prügel an, ich glaube, es war Lothar und seine Botschaft kam echt sofort rüber. Jedenfalls kippte mein Nachbar erstmal alleine ein Fläschchen.
Die nächsten Lebewesen, die entfernt an Frauen erinnerten, waren wohl Freundinnen, jedenfalls klammerten sie sich aneinander, als würde eine allein von uns sofort gefressen werden. In der Mitte des Gangs stolperten sie vorbei, den Blick eisern auf den Boden geheftet. Lothar klopfte auf sein Herzbettchen, ich sah, wie einer Blümchen in den Gang streute, als wäre er ein Faun, und überall ploppten Flaschenkorken und wurden Gläschen rausgehalten. Die beiden Pummelchen konnten es sich wirklich raussuchen, das musste für die doch wie Weihnachten gewesen sein. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich hatte ja nicht mal an einen zweiten Stuhl gedacht, also spielte ich den Überlegenen, der’s nun wirklich nicht nötig hat, und mümmelte ein paar von den Gummibärchen in mich rein, damit wenigstens mein Gebiss beschäftigt war. Langsam verbesserte sich der Nachschub, immer mehr Frauen kamen jetzt, junge und alte, Mütter mit Töchtern, ganze Cliquen, sie rannten an uns vorbei und starrten uns an wie Affen im Zoo. Die meisten hielten sich peinlichst genau in der Mitte des Gangs und wollten uns bloß nicht zu nahe kommen, als hätten wir Ausschlag. Mein Nachbar, der dumme Sack, hatte inzwischen tatsächlich eine auf der Ledercouch sitzen, sie stießen an und er schwallte sie mit Text zu, der für mich sehr auswendig gelernt klang. Gegenüber bei Wüsten-Lawrence füllte sich das Zelt. Er war wohl einer jener, der fett die Kohle hatte und das auch jedem zeigte, das zog natürlich, und ein paar von den Frauen imitierten sogar Bauchtanz zu seiner Dudelmusik. Lothar blieb bei seinem Motto und hatte alle lieb, aber sein albernes Herzbettchen blieb dennoch verwaist. Ich grinste ihn so lange an, bis er mir die Faust zeigte.
„Was is’n das für’n Stand hier?“, baute sich eine vor mir auf und ihre kleinen Schweinsäuglein funkelten mich entrüstet an. „Da ist ja nix gemacht, gar nichts, keine Idee, is das ne Verarsche oder was?“
Sie erwartete tatsächlich eine Antwort von mir und ich sagte: „So bin ich eben. What you see is what you get. Keine Show bei mir, nur nackte Tatsachen.“
„Von wegen nackt“, sagte sie schnippisch und ließ mich stehen. Dabei war es uns ausdrücklich verboten worden, uns auszuziehen, wir mussten das alle unterschreiben. Das war schließlich ne seriöse Messe. Bissel Kragen öffnen oder so ging schon, aber Waschbrett war hier eher selten, bei den meisten spannte sich ziemlich das Hemd, und am Kragen wuschelte mehr Pelz heraus als weiter oben auf dem Kopf.
Einige stellten jetzt große Glasbehälter in den Flur, und ich kapierte lange nicht, wofür. Doch dann sah ich, wie die Frauen manchmal Sympathiekärtchen hinein warfen. Die konnte man bei der Messeleitung Paketweise kaufen und alles mögliche darauf ankreuzen. Ich weiß das, weil ich am Nachmittag auch so was bekam. Eine drückte es mir wortlos in die Hand. Da stand unter Bemerkungen: Dein Stand ist super scheiße. Scheiße zweimal unterstrichen. Ich bastelte einen kleinen Papierflieger daraus und warf ihn ihr hinterher. Aber da hatte sie schon nebenan den zweiten Piccolo drin und kriegte sich nicht mehr ein mit Giggeln und Gackern.
Am Nachmittag gönnte Lothar seiner Masche ein Update. Er kniete sich im Gang hin und flehte die Frauen händeringend an, von ihm und seiner positiven Botschaft Notiz zu nehmen. Es war ziemlich erbärmlich. Viel Erfolg hatte er damit auch nicht, eine drosch ihm ihre Tüte mit Katalogen drüber, als er sie am Bein festhielt. Beim Wüstensohn kam die Messeaufsicht vorbei, weil seine Wasserpfeife nach allem roch, nur nicht nach Tabak. Außerdem durfte er sein Zelt nicht mehr zumachen, weil sie kontrollieren wollten, was da im Inneren abging.
Als ich später vom Klo zurückkam, hatte mir einer meine Klampfe gestohlen. Mein Campingstuhl stand jetzt nebenan und ächzte unter einem breiten Hintern. Ich tippte der Holden auf die Schulter und sagte, sie solle mir wenigstens ein Sympathiekärtchen schenken, wenn sie sich schon auf meinen einzigen Stuhl setzt. Ihr Blick maß mich so rasch wie ein Fallbeil zum Runtersausen braucht und das verknitterte Kärtchen, das sie mir hinhielt, hatte nicht mal irgendwo ein einziges Kreuzchen.
Jetzt war mir alles egal. Ich stopfte mir am Imbiss eine Fischsemmel rein und kippte einen Kurzen hinterher, dann machte ich mich auf den Heimweg. Natürlich nicht ohne dabei in die Frauenhalle U30, also die unter Dreißigjährigen, zu schauen. Die Halle war gerammelt voll, es war kaum noch ein Durchkommen, um manche Stände hingen ganze Menschentrauben und sabberten sich ein. Mit meinem gepflegten Männeratem machte man mir wenigstens Platz. Manche langbeinige Tussi stand bis zu den Knien in Sympathiekärtchen, die ihr irgendwelche Schwachköpfe zuwarfen. Plötzlich quatschte mich im großen Mittelgang doch tatsächlich eine an und hielt mir ihre Karte hin. Sie war groß und sah ziemlich gut aus, ihr Stand wirkte gut besucht und ich wunderte mich, dass sie überhaupt Zeit für mich hatte. Sie meinte, ich wäre ihr gleich aufgefallen, schon weil mir alles scheinbar ganz gepflegt am Arsch vorbei ginge. Tut es, brummte ich und nahm nicht mal meine Hände aus den Taschen. Sie schob mir ihr Kärtchen in die Brusttasche des Hemdes. Das fände sie gut, meinte sie, es wäre erfrischend, jedenfalls einmalig hier. Ich sagte ihr, na ja, so sei ich halt, ich hätt’s eben nicht nötig, wenn sie versteht was ich meine. Sie nickte und lächelte, dann sagte sie, sie würde mich gerne bald treffen und näher kennen lernen wollen, ob sie mich mal besuchen kommen dürfe? Ich nickte verwirrt und gab ihr meine Adresse. Zum Abschied hauchte sie mir einen Kuss auf die Wange.
Ich denke mal, die Wundergläubigkeit ist uns Menschen irgendwie angeboren, jedenfalls fühlte ich mich danach ziemlich gut. So gut, dass ich tatsächlich noch mal zurück bin und Lothar was von meinem Konzept erzählen wollte, von wegen, wo er doch meinte, ich sei chancenlos und so. Aber Lothars Stand hatten sie mittlerweile dichtgemacht. Er soll ein Netz auf eine Frau geworfen und sie dann auf sein Herzchensofa gezogen haben, ob das stimmte, weiß ich nicht, hat mir jedenfalls einer da zugeraunt.
Zuhause hab ich dann noch ein wenig am PC rumgeballert. Nach so nem Tag unter Männern fühlt man sich irgendwie besser, wenn ein ganzes Bataillon muskulöser Typen im Kugelhagel zerplatzt.
Sie hat mich übrigens wirklich besucht. Sie hieß Sabine. Schon ein paar Tage später schneite sie herein, versprühte ihren Charme und drapierte ihren hübschen, wohlgeformten Körper auf meine alte Cordcouch. Sie wollte nicht lange über meine Hobbys reden, auch nicht übers Wetter oder am Ende gar Gott, nein, sie wollte einen so interessanten jungen Mann wie mich endlich mit den optimal angepassten Anlage- und Versicherungsprodukten ausstatten und erstellte kostenlos und unverbindlich eine Analyse meiner Vermögensverhältnisse. Irgendwann, da rechnete sie gerade irgendeinen Steuervorteil aus, den ich haben würde, wenn die Wirtschaft noch dreißig Jahre so weiterboomte wie zuletzt 1958, sagte ich enttäuscht: „Dann vögeln wir also nicht?“
Der Abend sei ja noch jung, lächelte sie mich an und hielt mir ihren teuren Lamy-Stift zur Unterschrift hin. Ich fragte mich, warum das Leben so ungerecht zu uns Männern war? Eine Antwort erhielt ich natürlich nicht.
Zurzeit mache ich wieder Single-Wandern wie schon mal ganz früher. Da latscht man zusammen mit anderen Fußkranken auf einen Berg und glotzt gemeinsam hinunter ins Tal. Man sagt so Dinge wie „Ach, jetzt schaut euch das mal an“ und „Ach nein, wie entzückend“ und weiß, dass die anderen menschlicher Ausschuss von der Resterampe sind, und es verdammt nötig haben. Man redet sich ein, dass man selbst nur zufällig dabei ist und jederzeit auch ein ganz anderes Leben haben kann. Die Vögel zwitschern in den Bäumen, über allen Wipfeln ist Ruh’, und ob man will oder nicht, selbst im heißesten Hochsommer riecht jeder verdammte Windhauch schon stark nach Herbst.