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Isabelle Straub: Knospen-Theater 

Und schon wieder sitzt einer auf meinem Sofa, von dem ich eigentlich nicht weiß, wie er da hingekommen ist. Mit einem Seitenblick checke ich die Haustür: keine Spur von Gewaltanwendung. So wie’s aussieht, hab ich ihn selbst reingelassen.
 Gerda sagt immer: „Also, mit einem fremden Mann könnt´ ich nie.“ Allerdings kann sie mit ihrem eigenen auch nicht, insofern ist das kein Argument.  Außerdem: Sie muss ja nicht. Ich hingegen schon. Genau genommen: Ich will es, seit sich Gerfrieds Erektionswinkel zweifelsfrei und unwiderruflich dem Dow Jones-Index angeglichen hat.
       Mein Schädel fühlt sich taub an, wie die Backe nach einer Spritze beim Zahnarzt. Ich starre ins Weinglas und schwenke die kardinalrote Flüssigkeit gegen den Uhrzeigersinn im Glas. Gerfried glaubt nicht, dass ein Beziehungscoaching helfen kann, unsere Eskalationsspiralen zurückzuschrauben. Gerade Gerfried, der bei jedem Glühbirnen-Wechsel ein Elektrikerteam anrücken lässt! Gerfried, dessen Lieblingssatz mit den Worten endet: „…weil es ein Zeichen von Stärke ist, professionelle Hilfe anzunehmen“! Beim Thema Therapie kriegt er die Krise. Erektionsstörungen? Eskalationsspiralen? „Diese Spiralen und Störungen bekommen wir schon selbst in Griff, nichts leichter als das, ha! Verschone mich mit deinen Psycho-Kasperln.“ Das spricht er zwar nicht aus - doch seine Blicke, die er quer durch die Wohnküche schickt wie Abfangjäger, die sagen es deutlich und unmissverständlich. Blicksprache ist meine dritte lebende Fremdsprache nach Englisch und Beziehungs-Esperanto.
       Die April-Sonne presst sich durch die Jalousien und wirft wie mit dem Lineal gezogene Lichtstreifen aufs Parkett. Von fern klatschen Satzfetzen an das zerklüftete Ufer meiner Wahrnehmung: Maisonette… Ausblick sensationell… Verantwortung… wirklich wahnsinnig… Golden Retriever… bald stubenrein. Dann sieht er mich an, dieser Mann auf meinem Sofa, und hebt die Augenbrauen. Blond, Lachfältchen, Bono Vox-Lippen. Anfang 30, maximal. Zum Anbeißen.
       Stille.
       Er hatte mich offenbar etwas gefragt, aber was bloß? „Ja“, sage ich aufs Geratewohl. „Ja, das finde ich auch.“
       Er lacht, zeigt Zähne in Elfenbein metallisé, mindestens 48 Stück. Rückt näher. Na endlich, los geht’s. Thema mit Variationen. Wo fangen wir an? Hals? Lippen? Ohrläppchen?  Nein, er zieht bloß eine Marlboro aus dem Päckchen, seine Hand zittert – er wird doch nicht etwa nervös sein? Beugt sich nach vor, zündet die Zigarette an der Kerze an. Wieder ein Matrose tot.
       Letzthin fragte Gerda verwundert: „Wie du das nur machst? Woher du die bloß immer nimmst?“ Dabei ist nichts einfacher als das. Du setzt deinen hungrigen Blick auf - Marke „Hormon-Eruption“, und schon blinkt das „Fick mich“- Schild auf deiner Stirn auf. Stellst du dich dann im Café Wanderer an die Bar, hast du den Jackpot schon geknackt. Es gilt das  Dauertiefpreisangebot: Nimm zwei, zahl keinen. Umso verheirateter, desto dankbarer. Leo, das ist der Chef des Cafés, hab ich mal geraten, einen Treuepass einzuführen: Bei zehn Stempeln gibt’s einen Dreier frei Haus. Hat er nicht so gut gefunden.
       Dieser Sofasurfer hier ist ebenfalls ein Take-away-Schnäppchen aus dem Wanderer. Stand eines Nachmittags einfach da und nippte an seinem Kombucha. „Kom– was?“, fragte Gerda und hielt ihre linke Hand wie einen Trichter an ihr Ort. „Ich glaub, ich hab mich verhört. Welcher Mann trinkt das denn? Ein makrobiotischer Öko-Horst, der sich seinen Hintern mit Jutesäcken putzt?“  Wir saßen in Gerdas Küche, schälten Mangos und lachten, während wir uns über die Schüssel mit dem Obstsalat beugten. Gerdas Mann liebte alles Exotische und Gerda liebte es, ihm eine Freude zu machen. So einfach ist es, ein Ehe-Rad am Laufen zu halten, selbst wenn das Profil bereits etwas abgefahren ist. Freilich: Als Gerda eines Vormittags zwischen der Marotti-Couch und dem Bücherregal einen Farbkatalog der Seitensprung-Agentur Lovelight entdeckte, in dem an die hundert Asiatinnen in die Kamera lächelten, manche oben ohne, manche unten ohne, da befand sie, dass Johannes´ Liebe zur Exotik einen Punkt erreicht hatte, die mit ihre Bereitschaft, ihm eine Freude zu bereiten, nicht mehr in Einklang zu bringen war. Für den Augenblick eines Lidschlags überlegte sie, ob sie sein Hühner-Curry an diesem Abend mit Arsen würzen wollte – entschied dann aber doch, seine Schmach bis zur bitteren Neige auszukosten. „Was haben diese Frauen, was ich nicht hab?“, schleuderte sie Johannes abends zur Begrüßung entgegen wie einen nassen Fetzen. Er habe sehr zerknirscht gewirkt, erzählte Gerda später. So richtig zerknirscht.
       Es war eine Zerknirschung im Wert von 2300 Euro: So viel kostete die Magnetfeldmatte, die er Gerda anderntags auf den Frühstückstisch legte, akkurat verpackt in Geschenkpapier im Frühlingszwiebel-Muster. „Für deine Energie-Ströme“ sagte er, legte seine Hand auf Gerdas Hand und Gerda öffnete zuerst das Paket und danach ihre Herzkammer, um Johannes hineinzulassen und hinter ihm die Tür zu schließen.  
       Die Ehe ist nichts für mich. Das weiß ich nicht erst, seit ich dem Live-Experiment Gerda und Johannes beiwohne. Nein: Die Ehe ist grundsätzlich nichts für mich. In letzter Zeit frage ich mich, ob denn eine Beziehung überhaupt etwas für mich ist. Zumindest haben Gerfried und ich uns in den vergangenen Jahren nichts aufgebaut, was es im Streitfalle aufzuteilen gilt. Vor drei Jahren bin ich in seine Wohnung in die Erdberg-Siedlung gezogen: Block 2, dritter Stock, drei Zimmer, Süd, Süd-West, Beton-Balkon mit Aussicht auf die Blöcke 1 und 3. Gerfried will demnächst ein Haus bauen, weil das zu einer Männer-Biographie gehört wie das gezeugte Kind und das geschriebene Buch, doch ich frage mich: Wozu mit dem Haus beginnen, wo er doch die beiden anderen Aufgaben noch nicht einmal ansatzweise erledigt hat?
       Wenn der Frühling ins Land zieht, erwacht in mir eine seltsame Unruhe, die sich im Laufe der Wochen zu einem Unglücks-Strick bündelt. Dass zwischen März und Mai die meisten Menschen sterben, verwundert mich nicht im Geringsten. Wenn die Knospen sprießen und die Sprossen knistern, möchte ich mir am liebsten die Decke über die Ohren ziehen und unter der Bettdecke ein ganz privates Mikroklima der Vergänglichkeit erschaffen.
       Dieser grenzenlose Optimismus der Natur nervt! Sobald Lidl die ersten Narzissen und Tulpenzwiebeln zu verscherbeln beginnt, stürzt meine Laune in den Keller - dorthin, wo bereits die Angst vor behaarten Spinnen und die Abneigung für All-in-Clubs an der türkischen Riviera vor sich hin faulen. Gerfried versteht mein Unbehagen nicht einmal im Ansatz, und wenn ich mich weigere, mit ihm zum Frühjahrsschoppen der Blasmusik Sankt Zumpferl am Bockshorn zu fahren, droht eine Eskalationsspirale.
       Nur das Café Wanderer vermag es, meinen Spring-Blues hinwegzufegen wie der Hausmeister die Kieselsteine in der Hofeinfahrt. Besser: die Bar des Café Wanderer kann es. Deutlicher: Die jungen Männer, die nach Feierabend ihr wohl verdientes Helles kippen und nach willigen Frauen Ausschau halten wie der Polizist nach Falschparkern. 
       Praktisch, dass sich meine Tagesfreizeit verdoppelt hat, seit Gerfried den Weiterbildungskurs „Krisenmanagement“ besucht. Brutto - nicht netto, wohlgemerkt: Das ständige Bettenüberziehen muss man natürlich vom Zeitgewinn abziehen. Damit Gerfried keinen Verdacht schöpft, kaufe ich seit kurzem immer zwei identische Bettwäsche-Garnituren. Nach dem Shopping lege ich mich üblicherweise auf Gerdas Matte um mein Magnetfeld zu stärken. „Erhöht das auch meine Anziehungskraft auf Männer?“, will ich wissen, doch Gerda seufzt nur, sieht mich an, so als sei bereits sowohl Hopfen, als auch Malz verloren. 
       Der Kombucha-Mann auf meinem Sofa hat nun offenbar genug geraucht. Mit entschlossener Geste steckt er den Stummel in die Erde meines Gummibaums. Der hat sie wohl nicht mehr alle! Doch keine Zeit für Beschwerden. Ich schiele auf die Uhr: schon halb fünf. Tu endlich was, Junge. Ich schlucke meinen Ärger mit dem letzten Schluck Rotwein hinunter, lege den Kopf schief, lehne mich zurück, Brust raus, Bauch rein, Beine fallen leicht auseinander. Mehr anbieten geht nicht. Der Mann begutachtet mich wie einen wurmstichigen Apfel auf der Obststeige, greift dann aber doch zu.
       Linke Hand auf die rechte Brust, mittig drauf. Durchwalken. Zeitgleich schleckt er den Hals ab, vom Ohr bis zum Schlüsselbein und drängt mit seinem Knie zwischen meine Beine. Mit der rechten Hand knetet er meine Hüfte als wollte er sie neu formen. Es heißt immer, Männer seien nicht geboren fürs Multitasking - im Bett aber können sie fünf Sachen gleichzeitig machen, faszinierend. Ich ziehe dem Mann, der jetzt über mir kniet, das Shirt über den Kopf, scanne seinen Oberkörper. Kann man gelten lassen. Ein Kandidat für das Foto danach, Gerda soll schließlich auch was davon haben.  
       Der Mann klappt meinen Rock nach oben und spreizt meine Beine mit einem triumphierenden Blick, so als hätte er gerade das rote Meer geteilt. Fachmännisch streicht er über die Innenseite meiner Oberschenkel. Augen zu, Mund zu. Mein Körper schaltet auf Autopilot. Wenn kein Vogelschwarm in die Turbinen gerät, wird das ein gemächlicher Linienflug. Ich öffne seinen Gürtel mit einer Hand,  knöpfe mit der anderen seine Jeans auf. Er windet sich aus der Hose wie ein Kleinkind, das sich das erste Mal alleine auszieht. Weiße Tennissocken. Sachte klopft die Migräne an meine Schädeldecke.
       Wie viele Hände hat dieser Mann? Überall ist er dabei, davor, darauf, drinnen. Befühlt, reibt, streicht, klopft und nimmt Maß wie ein fleißiger Heimwerker. Schon stehen Schweißperlen auf seiner Stirn. Seine Bewegungen werden nachdrücklicher. Nun dreht er an meinen Brustwarzen als wolle er einen Radiosender einstellen. Wer hat ihm bloß gesagt, dass das gut tut? Der Schmerz jagt mit Lichtgeschwindigkeit durch die Verästelungen meiner Nervenbahnen und explodiert im Hirn. Im nächsten Moment fühlt es sich so an, als wolle er in meinem Unterkörper noch ein paar zusätzliche Löcher bohren, falls die vorhandenen nicht ausreichen sollten für das, was er vorhat. Grundgütiger.
       Alles immer noch besser als Gerfrieds Stochern im Nebel. Weshalb ist es in Zeiten von Marslandung und Google Earth immer noch so schwierig für einen Mann, sich auf einem Gebiet von grad einmal zehn Quadratzentimetern zu orientieren? Gerda erzählte mir vergangene Woche, dass Johannes ihr zum Hochzeitstag eine Ayurveda-Kur in Bangalore schenken wollte – „zur Wiedererweckung ihrer Libido“, wie er es ausdrückte. Als sich Gerda die Webseite der Klinik ansah und die dort abgebildeten Therapeutinnen, keimte in ihr der Verdacht, dass er wohl eher seine Libido im Auge hatte. Kurzerhand erklärte sie ihm, dass sie eigentlich nur der europäischen Entgiftung vertraue und eine Mayr-Kur am Semmering zu absolvieren trachte, und zwar im Kurhaus Dr. Eybl. Theresia Eybl hat die Konstitution eines Schlachtrosses und wiegt gut und gerne 150 Kilo, was sich dadurch erklären lässt, dass sie niemals, kein einziges Mal, an einer der Kuren teilnimmt, die sie feilbietet. „Oder haben Sie schon einmal gesehen, dass ein Pfarrer sich selbst beichtet?“, pflegt sie zu sagen und dröhnend zu lachen. Die harte- Semmel-schale Milch-Kost bewirke, dass man sich nachher fühle wie innerlich gewaschen und überhaupt: „wie frisch geboren“, sagt die Ärztin, und dass die Säfte wieder zu fließen begännen als wäre man süße sechzehn.
       Saft ist ein gutes Stichwort, denn der Schwanz des jungen Mannes ragt mittlerweile steil in den Raum wie ein Handtuchhalter für sehr kleine Handtücher. Jucheissa! Gelobt sei der Herr! Langsam erwacht mein Lebensmut wieder. Ich beuge mich über ihn, klemme seine Vorhaut zwischen meine Lippen und bewege den Kopf vor und zurück wie eine epileptische Taube. Er soll schließlich was davon haben, wenn er schon sein Kombucha halbvoll an der Wanderer-Bar zurücklassen musste!
       Aus seiner Hosentasche fummelt er zwei Gummis. Gerippt oder genoppt? Ene mene muh. Er fädelt sich aus meinem Mund und nimmt zwischen meinen Beinen Aufstellung. Just in jenem Moment, als er in mich eindringt und so fest Grüß Gott sagt, dass ihm der Schweiß von der Stirne springt, drängt ein Schlüssel in ein Schlüsselloch. Ein langgezogenes Knirschen und Knarzen. Ein Schlüsselbart, der einen Zylinder penetriert. Zugefeilte Zähne, die einen Widerstand überwinden. Metall, das sich in eine metallene Führung schiebt.
       Wir erstarren in der Bewegung. Im nächsten Augenblick schon fasse ich ihn an seine Hinterbacken und ziehe ihn mit aller Kraft in mich hinein. Keine Ahnung, wo ich mich sonst verstecken soll. Während ich auf eine Eingebung warte und die Eingangstür mit einem Ächzen ins Schloss fällt, drücke ich den Mann, der auf mir liegt, so fest an mich, bis er irgendwo anstößt, bis mir die Luft wegbleibt, bis er sich löst aus meiner Umklammerung, bis meine Arme zur Seite fallen wie die Arme einer Puppe und ich die Augen schließe, resigniert, denn jetzt kann mich ohnehin nichts und niemand mehr retten.