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Friederike von Königswald: Zigarette danach 

Im Spiegel sah er sich vorn auf der Bettkate sitzen, sie lag hinter ihm ausgestreckt, beide nackt. Unterhalb ihrer Kehle eine rote Linie, als sei da ein Schnitt. Eine Love-Story könnte so enden, ein Krimi würde so anfangen, dachte er.
Sie blickte leer in seine Richtung, als sähe sie durch ihn und den Spiegel hindurch. Vorher hatte sie ihn so direkt angesehen, daß er gedacht hatte, es bedeute etwas und ihr Lachen gelte nur ihm.
Ihre Haut leicht gebräunt, ihr dunkles Haar zerzaust, um den Hals war ihre Kette nach oben gerutscht, kleine Perlen, Korallen vielleicht, kein Schnitt, kein Blut, zum Glück.
Draußen ratterte ein Zug vorbei, ließ das Bett leicht beben und rauschte weiter in die Nacht. Danach schien es im Zimmer noch stiller zu sein. Er war müde, hätte sich wieder neben sie legen wollen, einschlafen, sie im Arm halten.
„Alles okay?“ fragte sie.
Er nickte.
Die Kleider am Boden, seine Schuhe im Schattenstreifen vom Bett verschwunden. Brauner Teppich, zwei alte Kordsessel, eine Vase mit langstieligen Blumen, deren Blütenblätter sich wie lange Zungen bogen, Widerhaken im Rachen. Hatte sie die gekauft? Auf ihrem Schrank ein Stetson aus weißem Leder, eine Politessenkappe, ein Zylinder, eine Plüschmütze mit Katzenohren. Das paßte zu ihr, Verkleidungen. Spielerin, hatte ihn aus seinen Grübeleien gerissen und frech provoziert. Sie hatten sich gleich verstanden, oder eher viel geredet und nichts gemeint. Aber gerade diese Albernheit war ihm echter vorgekommen als das eitle Taktieren sonst. Im bunten Sommerkleid hatte sie auf dem hohen Hocker neben ihm gesessen, ihre nackten Beine übereinandergeschlagen. Sie mußte gemerkt haben, daß auch andere Gäste in der Bar zu ihr herüber gesehen hatten, aber sie schien sich nur auf ihn zu konzentrieren.

Sie startete die Anlange neben dem Bett, ein elektronischer Soundteppich, die selbe CD wie vorhin. Er hätte lieber richtige Musik mit ihr gehört, mit Gitarren, mit mehr Temperament.
„Also dann“, sagte sie.
„Ja, also dann.“
Er nahm seine Uhr vom Boden, strich mit dem Daumen über das Glas. Im Spiegel sah er sich selbst in die Augen. Er fühlte sich seltsam betrogen und wollte doch, daß es weiter ging, wollte nicht gehen.
„Was soll ich sagen?“
„Gibt es denn etwas zu sagen?“ Mit einer trägen Geste zog sie das glänzende Tuch über ihren Körper, nur bis zum Bauchnabel, lasziv sah es aus, vielleicht war es ironisch gemeint.
„Ich ...“, er zuckte mit den Schultern, „eigentlich bin ich ganz anders.“
„Ja, natürlich.“
„Ich meine, so wie mit dir ...“
„Wie ich?“
Er streifte die Uhr übers Handgelenk, ließ den Verschluß zuklicken. „Ich sollte jetzt gehen.“
„Ja, vielleicht.“
Er blieb sitzen. Schon lange bevor sie die Bar verlassen hatten, hatte er sich vorgestellt, sie später zu fragen, ob sie sich wieder sehen. Er hatte geglaubt, sie hätten viel Zeit. Unsere Bar hatte sie gesagt. Er kannte noch kaum jemanden in der Stadt, hatte seit Wochen nur daran gedacht, alles richtig zu machen. Während er mit ihr gelacht hatte, hatte er erst begriffen, wie einsam er geworden war.

„Wie spät ist es denn?“
Er sah auf die Uhr, las die Zeit erst jetzt, „Schon halb zwei. Ich muß um sieben in der Klinik sein.“
„Bist du krank?“
„Nein, ich arbeite da.“
„Da habe ich ja Glück.“
Er beobachtete im Spiegel wie sie ein Bein langsam in seine Richtung schob. Er wollte die Hand um ihre Fußfessel legen.
„Schicksal, Papperlapapp“, hatte sie in der Bar gesagt, „wir werden von Biochemie gesteuert, Transmittern, Hormonen.“
„Das klingt nach einer Umweltkatastrophe.“
„Inweltkatastrophe, wenn schon, aber sowieso stehen dir Katastrophen nicht.“
„Ich fühle mich auch gerade ganz gut.“
„Das freut mich, denn dafür bin ich hier.“
Als wollte sie die Zeit beschleunigen, hatte sie immer neue Drinks bestellt. Sie hatte ihn gezwungen, ein Lied für sie zu singen. Hänschen klein. Er hätte alles für sie getan, übermütig, blödsinnig berauscht.

„Soll ich ein Taxi rufen?“
„Nein, geht schon, danke.“
Sie tippte ihn vorsichtig mit den Zehen an, zog die Augenbrauen hoch, fragend, abwartend.
„Du bist anders als die, die man sonst auf der Straße sieht. Ich will nicht, daß du denkst, daß ich ... ich meine, nicht mit jeder.“
„Denke ich auch nicht.“
„Dann ist ja gut.“
„Aber du hast es getan.“
Erst als sie beide auf dem Bett gelegen hatten, hatte er bemerkt, daß die Wand daneben ein großer Spiegel war, war erschrocken, hatte sich selbst noch nie beim Sex zugesehen und einen Moment sogar gedacht, es könnte noch jemand sie beide beobachten, durch die Wand, von der anderen Seite des Spiegels. Der hinterm Spiegel hatte ihm einen Blick zugeworfen und sich dann abgewandt.

Sie grinste frech, immer noch. Er hörte sich sprechen, obwohl er gar nicht reden wollte. „Als du plötzlich neben mir an der Theke sagtest ‚So, jetzt trinken wir beide Mojitos’, ...“
„Du hast geguckt, als hätte ich dich geweckt.“
„Ein bißchen war es auch so.“
„Schlimm?“
„Nein, schön. Wir hatten Spaß.“
„Oh ja, auch wenn du wirklich gar nicht singen kannst.“
„Vielleicht muß ich mehr üben.“
„Hoffnungslos.“
Sie lachte ihn aus, wie schon in der Bar und er ließ es sich gerne gefallen.
In der Bar hatte sie die Hand auf seinen Arm gelegt, ihm durchs Haar gestrubbelt und noch bevor er sie überhaupt geküßt hatte, hatte sie angeboten, gemeinsam zu ihr zu gehen.
Im Kiosk neben der Bar hatte sie Zigaretten kaufen wollen, aber ihr Geld nicht gefunden. Der Verkäufer hatte über ihre Schusseligkeit gelacht und einen Schlüssel unter der Theke hervorgeholt. Während er ihre Zigaretten bezahlt hatte, hatte der Verkäufer ihm den Schlüssel gegeben, wieder abgenommen, ihr gereicht, ihm statt dessen einen klebrigen Bonbon in die Hand gedrückt, sie hatte den Schlüssel fallen lassen, er hatte sich gebückt, sie war auch in die Hocke gegangen, hatte ihn auf die Wange geküßt und im Hin und Her von Zigaretten, Kleingeld, Schlüssel, Bonbons hatte sie plötzlich sein Portemonnaie in der Hand gehabt und hundert Euro herausgenommen.
„Schenkst du mir das?“ hatte sie gefragt und die beiden Scheine hochgehalten. Als er danach greifen wollte, hatte sie das Geld blitzschnell zurückgezogen und war schon an der Tür. „Komm, oder willst du nicht?“
Auf der Straße war sie losgerannt, „Freust du dich?“
Er war hinter ihr hergelaufen und sie wenige Meter vor ihm abrupt stehen geblieben, so daß er sie fast umgerannt hätte, nicht anders gekonnt hatte, als sie in den Arm nehmen und an sich drücken.
„Wir sind da.“
Nur zwei Häuser weiter von der Bar. Er hatte sie küssen wollen, aber sie hatte ihn entschlossen in den Hauseingang geschoben und erst als sie eng umschlungen durch das Treppenhaus gegangen waren, hatte sie gefragt: „Willst du mich oder willst du dein Geschenk zurück?“

Er saß immer noch nackt da, hatte geschwitzt und jetzt wurde ihm kalt. „Ich wäre nie mit einer ... na ja, mitgegangen.“
„Ich weiß.“
„Ich bin eigentlich nicht so.“
„Schon gut. Aber ich bin so, so eine.“ Sie setzte sich auf, zog das Tuch über ihre Brust und klemmte es unter den Armen fest.
„In der Bar habe ich viel geredet, oder?“
„Ja. Aber du hast nichts erzählt.“
„Na gut.“
„Vielleicht beruhigt es dich, daß ich eigentlich Schauspielerin bin.“
„Ach ja?“
„Ja.“
„Und dann machst du so was hier?“
„Es läuft eben noch nicht so gut.“
„War das in der Bar eine einstudierte Show? Mit geplanten Gags und Gesten?“
Sie sah ihn skeptisch an, biß die Zähne aufeinander.
„Immerhin hast du bei der Rolle richtig viel Text. Viel Text ist ja eigentlich ungewöhnlich für dieses Gewerbe.“
„Es reicht“, sagte sie leise und zog das Tuch enger um sich. Aber statt sie zu verstecken, zeichnete das glänzende Tuch die Formen ihres nackten Körpers nur noch deutlicher nach.
„Entschuldigung. ... Du wirkest so unbekümmert in der Bar und es gefiel mir.“
„Kein Grund auszuflippen.“
„Vielleicht doch.“
„Nein.“
„Ich meine es ernst.“
„Ich auch.“
Er fischte seine Unterhose vom Boden, schlüpfte mit den Füßen hinein, zog sie schnell über den Po ohne richtig aufzustehen.
„Keine Panik. Ich guck nicht hin.“ Sie lachte wieder über ihn. Er benahm sich wie ein Idiot, verhedderte sich im noch zugeknöpften Hemd.
„Du hast drei Leberflecken auf dem Schulterblatt, wie ein Blindenzeichen.“
„Ach, Quatsch.“
„Doch.“
Mit dem Hemd über dem Kopf, den Händen nach Knöpfen suchend, sehnte er sich danach, sie würde die Finger auf die Stelle legen, wo angeblich Leberflecken waren, würde weiter lügen, würde diesen ganzen Handel als Scherz aufdecken. Aber im Treppenhaus hatte sie ihn eindeutig vor die Wahl gestellt, nur er hatte es nicht glauben wollen und mit ihr gelacht.
Er stand auf, zog die Jeans an, suchte die zweite Socke. Am Boden ihr geblümtes Kleid, heruntergerissener Stoffkringel. Er zögerte, dann bückte er sich. Ihr Kleid war so leicht, duftete. Er schüttelte es aus, legte es sorgfältig über den Sessel. Die Socke war nicht da.
„Unter meinem BH.“
Am Träger nahm er den BH, hielt ihn ihr entgegen.
„Danke, sehr aufmerksam.“ Sie grinste wieder frech, hatte ihm vielleicht verziehen. Die Musik wurde lebendiger, in die synthetischen Beats mischte sich die helle Stimme eines Saxophons. Er setzte sich zurück auf die Bettkante, zog die Socken an. „Ich habe noch nie solche Sachen gesagt.“
„Aber es hat dir Spaß gemacht.“
„Ich war nicht ich.“
„Oh, ich bin auch nicht ich.“
„Trotzdem ist es mir unangenehm.“
„Schämst du dich?“
„Na ja.“
„Als du nicht du warst, hast du dich aber nicht geschämt.“
Sie zündete sich eine Zigarette an, legte den Kopf in den Nacken, blies Rauch aus. Er band die Schuhe zu, sein Hemd rutschte wieder aus dem Hosenbund. Sie lachte auf. „Du hast gesagt ‚Ich fög dich’. Sag mal ‚Ich fick dich’.“
Er beugte sich tiefer zu seinen Schuhen herunter, tiefer in den Schattenstreifen vorm Bett. Da war wieder dieses Gefühl, als sei da jemand hinterm Spiegel. Nicht einer, sondern viele Männer. Auch der Kioskverkäufer war dabei und stieß die Hüfte rhythmisch vor.
Jetzt fiel ihm ein, wo er den Verkäufer gesehen hatte. Er war in die Bar gekommen, am Eingang stehen geblieben und hatte sich umgesehen, als suche er jemanden. Aber vielleicht hatte er nur kontrolliert, ob sie schon einen Kunden hatte.

„Los, mach schon!“
„Nein, so was sage ich nicht.“
„Du traust dich nicht!“
Sie blies den Rauch in seine Richtung. Mit ihren zerzausten Haaren, mit ihrer Albernheit kam sie ihm so unprofessionell vor. Vielleicht war sie wirklich Schauspielerin, nahm noch Unterricht, mußte herumreisen, vorsprechen, das alles kostete Geld.
Er war fertig angezogen, bereit endlich zu gehen, aber sie sah ihn so an. Sie legte den Kopf schief, betrachtete ihn interessiert und dann lächelte sie, erstaunt und belustig, wie am Anfang in der Bar. Statt aufzustehen, lehnte er sich bequem zurück.
„Gib mir auch eine.“
„Ich dachte, du rauchst nicht.“
„Jetzt schon.“
Sie gab ihm Feuer und als er sich zu ihr beugte, roch er noch einmal ihr Parfum, ihren Sex. Er nahm einen Zug, hätte beinahe gehustet und drückte die Zigarette aus, „Schmeckt mir nicht, dann bin ich wohl doch ich.“
„Gut. Du bist du und ich bin ich.“
„Ja, erstaunlich.“
„Als Frau würdest du eh nicht taugen.“
„Ich hätte immerhin recht lange Beine.“
„Das reicht nicht. Du bist eher ...“
„Was?“
„Du bist besser als Mann.“
„Und?“
„Nichts.“
Dieses Nichts klag ernüchternd, nicht mehr wie Spiel, klang endgültig. Er stand auf, schob das Hemd wieder in die Hose, nahm seine Jacke vom Sessel.
„Was sind das für Blumen?“
„Keine Ahnung.“
Er betrachtete die Blüten genauer, sie waren aus Stoff, eine perfekte Imitation. Von was? Zwischen den Hüten auf dem Schrank entdeckte er eine Gasmaske. Aber vielleicht wohnte sie hier gar nicht, vielleicht hatte das alles nichts mit ihr zu tun und der Schlüssel zu diesem Zimmer gehörte dem Verkäufer.
„Vergiß das nicht.“ Sie hielt ihm sein Portemonnaie hin. Er konnte sich nicht daran erinnern, es noch mal aus seiner Jacke genommen zu haben, klappte es auf, wollte nachsehen, ob alles da war.
Bevor er in die Bar gegangen war, hatte er am Automat fünfhundert Euro abgehoben. Da war ein anderer Mann gewesen, hinter ihm, der Verkäufer vielleicht. Der Automat, drei Bars, der Kiosk, dieses Zimmer, alles in direkter Nähe, perfekte Logistik. Der Verkäufer beobachtete, wer mit genug Geld welche Bar betrat und schickt sie dann los. Ein kleines Unternehmen auf Neukunden spezialisiert, fast unsichtbar, vielleicht um anderen nicht in die Quere zu kommen. Raffiniert. Absurd.

„Vergiß es nicht“, wiederholte sie leise und wie ertappt steckte er das Portemonnaie schnell in die Tasche. Was er sich auch ausdachte, er konnte nicht ihr die Schuld geben, daß er das Gefühl hatte, etwas verraten zu haben. Sie wirkte plötzlich so klein. Er wußte nicht einmal, wie sie hieß, hatte ihren Name gleich zu Anfang vergessen und sich darüber geärgert. Aber wahrscheinlich war auch der Name falsch gewesen.
Draußen fuhr ein Zug vorbei, erschütterte das Zimmer leicht, ratterte lauter als das Saxophon. „Schade eigentlich“, hätte er gerne gesagt. Sie sahen sich an. Aus ihren musternden Blicken wurden Lächeln. Sie bewegte die Lippen, aber er hörte nur das Rattern des Zugs. An der Tür hob er die Hand zum Gruß.