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J.Bruckhuber: The Bed´s too big 

Auf einem Provinzbahnhof am Rand von  Nirgendwo. Ich werfe einen kurzen Blick  aus der Zugtür, ungeachtet des dämlichen Rauchverbots mit einer Lucky Strike in der Hand, aber das verrostete, fast nicht zu entziffernde   Schild mit der Aufschrift „EGGENFELDEN“ sagt mir rein gar nichts.  Zurück zu meinem Platz warte ich, bis sich das Ding endlich bewegt. Da es im Zug genauso arschkalt ist wie in der Bahnhofskneipe, wo ich die letzten Stunden verbracht habe, mümmle ich mich in meinen schwarzen Kaschmirmantel. Relikt aus besseren Zeiten. Die Kneipe mit dem innovativen Namen „Bahnhofsstüberl“ ist so heruntergekommen, dass es fast schon wieder Stil hat, aber zumindest ein  Raucherklub.  Obwohl  schon Anfang Mai – mein Geburtsmonat – ist es noch so kalt, dass Nebelschwaden über die Pampa ziehen und die Streufahrzeuge mit ihrem orangefarbenen Blinklicht, die ich mit glasigem Blick beobachte, unterwegs sind. Wenn alles nicht so wäre wie es ist, könnte ich dieser Inszenierung glatt etwas Melancholisch – Schönes abgewinnen. So aber bin ich nur betrunken, traurig, verraten und verlassen. Alles neu macht der Mai. Wie wahr.

Zurück auf Anfang.  Sitze an meinem Rechner und versuche mich  an dem verdammten Hörspiel. Bin voll mit Kokain, das ich seit einiger Zeit zu völlig überteuerten Preisen kaufe, obwohl ich sonst  außer Alkohol und Nikotin keine Drogen nehme. Heule mir die Augen aus. Ich stehe auf und gehe die paar Schritte zu meinem IKEA- Tischchen.  Im Vorbeigehen den letzten Schluck Veuve Clicquot. Yep, gönne mir Schampus. Ist sowieso schon egal. Wenn ich meinen Lebensstil nicht bald wieder  ändere, werden aus den  edlen Jahrgangsweinen, die ich – oder wir - bisher zu goutieren pflegten, Zwei-Liter- Bomben   aus dem Supermarkt oder warum nicht gleich warmes Dosenbier für 0,59.

 Lasse also  einen kräftigen Schluck   durch meine Kehle rinnen, rase im selben Moment  auf die Toilette und kotze alles wieder aus. War wahrscheinlich schon zu wohltemperiert, das edle Getränk. Da ich sowieso nur Flüssigkeit in meinem Magen hatte, ist die Angelegenheit schnell erledigt. Noch heftig vor mich hinwürgend gehe ich zum Tisch. Das Kokain liegt verführerisch da, in direkter Nachbarschaft zu den Beruhigungstabletten, die für mich neuerdings unersetzlich geworden sind, um nach den Kokainräuschen etwas Entspannung zu finden. Toll, aus mir ist ein Drogensüchtiger voller Selbstmitleid geworden. Vielen Dank auch. An der von mir bevorzugten Kombination ist schon Rainer - Werner Fassbinder zugrunde gegangen. Kein schlechter Ansatz, vielleicht mit dem  Unterschied, dass ich kein Genie bin. Kleinigkeit.

Ich öffne das Päckchen und hacke mit meiner Kreditkarte, die seit einiger Zeit nur noch ein Souvenir ist, die Kristalle klein und sauge das Gift gierig in meine Nase. Sofort beginnt sie zu bluten. Natürlich, bei dem Konsum. Ziehe das Kokain-Blut-Rotzgemisch hoch soweit es nur geht. Als es  über die Schleimhäute  in meinem Gehirn angekommen ist, verspüre ich den erwarteten Kick. Jetzt bin ich zufrieden,  sogar kurz euphorisch. Leider hat die Sache einen Haken, denn trotz allem bin ich mir bewusst , dass das Koks  die Lebenslust nur vorgaukelt, es Gefühle vermittelt, die nicht vorhanden sind, keine Spur davon. Außerdem bringt mich der Stoff immer schneller um mein bescheidenes Vermögen und auch um meine  immer bescheidener werdende Gesundheit. Trotzdem, ich weiß, ich wiederhole mich, ist es mir egal, denn ich bin verlassen geworden, ausgetauscht, von einem Tag, von einer Minute auf die andere.

 Meine Frau hat mich ausgetauscht, nach fast zehn Jahren. Wie einen alten Automotor, um einer alten Karre neuen Glanz zu verleihen. Das allerbeste daran ist, dass ihr neuer Motor ausgerechnet ein Hippie ist. Hippies sind sowieso nicht mein Fall, aber dieses Exemplar ist ein besonderer Idiot. Ein Exemplar, dass allen Ernstes Sätze wie:

„Da ich es nicht mehr schaffe zu arbeiten, müssen die Leute eben für meine Intelligenz und meine Musik mit Wohnung, Geld und Essen bezahlen“ von sich gibt.

Originalton Vollidiot. Natürlich lebt er schon bei und von ihr. Ich  weiß, dass sie es nicht lange alleine aushält, schlecht aber dass  so schnell Ersatz vorhanden war, hat mir einen Extra - Stich versetzt. Wenn ich mir nur vorstelle, dass er meine Frau mit seinen dünnen gelben Nikotinfingern betatscht und mit ihr pennt. Pfui Teufel. Ich könnte  glatt zum Mörder werden.

„Das ist meine Frau, hörst du! Meine“

brülle ich in mich hinein. Alles sinnlos, ich weiß. Trotzdem, kapiert hab’ ich das ganze immer noch nicht. 

Ich bleibe noch einige Zeit vor dem Tischchen knien, genieße den Stoff, so weit genießen  in meinem Zustand überhaupt noch möglich ist, bis ich mich wieder imstande fühle, an den Rechner zu gehen. Ich stecke mir eine Lucky an und versuche mich erneut an dem Kinderhörspiel (obwohl ich Kinder hasse, auch so ein Thema). Habe null Bock, aber der Radiosender würde ein nicht unerhebliches Honorar zahlen, so denn ich es abliefere. Sehe  sowieso keine andere Möglichkeit, denn ansonsten wäre ich bald  pleite inklusive dem totalen Absturz. Das ist mir nun nicht egal, denn diesen Triumph will ich dem neuen Traumpaar nicht gönnen, auf gar keinen Fall.

Wache vormittags auf, die Hälfte meines Gesichts auf dem Mousepad, die andere mitten im übervollen und stinkenden Aschenbecher. Bin noch völlig orientierungslos. Ein kurzer Blick auf den Monitor zeigt mir, dass ich keinen Satz weiter bin mit meinem Manuskript.  Stolpere ins Bad und wasche mir die ekelhaft stinkende Asche aus dem Gesicht. Bin mir sicher, dass der Hippie einen ähnlichen Geruch verströmt. Mir ist kotzübel. Anstatt mich zu duschen und zu rasieren ziehe ich eine Line und mache mich auf den Weg in meine Stammkneipe. Herzogstraße 37. Dieses Terrain hat sie mir freundlicherweise überlassen, wahrscheinlich in der Angst, ich könnte ihrem Hippie ein Messer zwischen die Rippen stoßen. Na ja, im Moment  wäre ich jederzeit in der Lage dazu. Sie trägt zumindest meine Post in die Kneipe, letztes Mal mit der herzzereissenden Nachricht, ich solle mich gefälligst ummelden, ihr sei das zu anstrengend. Anstrengend bei höchstens zehn Minuten Fußweg. Pfffff… Außerdem habe sie eine neue Telefonnummer. Okay, ich habe nicht nur einmal mitten in der Nacht angerufen und mit ihr, bzw. mit dem Anrufbeantworter gesprochen, und nicht nur freundliche Sachen. Aber auch inständige Bitten, sie möge doch zurückkommen, fehlten nicht. Das ganze Programm  in den Hörer gelallt. Kann sein, dass das lästig ist,

Als ich es geschafft habe, unfallfrei in die Kneipe zu kommen und vor meinem ersten Weißbier sitze, kommt mir kurz der Gedanke, die Stadt oder wenigstens den Stadtteil zu wechseln. Aber ich liebe mein München, liebe mein Schwabing.  Ich weiß nicht, ob Schwabing  mich auch liebt, aber ich bleibe. Soll sie doch mit ihrem Blödmann abhauen.

Als ich nach dem dritten Weißbier die düstere Kneipe gehe wieder verlasse, blendet mich schmerzend das Sonnenlicht. Stolpere fast. Ein Radständer rettet mich. Setze die Billig - Sonnenbrille auf, da ich in einem meiner Räusche auf meine geliebte Ray-Ban getreten bin. Es scheint jetzt doch Frühling zu werden, was mich noch mehr deprimiert und als ob das nicht schon genug wäre, läuft sie mir kurz danach über den Weg.  Schwabing ist ein Dorf. Meine Frau scheint ehrlich besorgt über mein derangiertes Äußeres. Sie selbst sieht  blendend aus, will mit mir reden, aber mehr als ein „Leck mich“ bringe ich nicht heraus, bevor ich heulend die Flucht ergreife. Sie soll meine Tränen nicht sehen. Rufe  sogleich auf ihrem Handy an, um mich zu entschuldigen, muss aber das Gespräch auf Grund eines erneuten  akuten  Weinkrampfes sofort wieder beenden. Stolpere  vor lauter Tränen fast blind durch die Gegend und lande in der Türkenstraße. Gehe in eine stockdunkle, nach altem Frittierfett stinkenden Kaschemme, werde aber sofort wieder hinauskomplimentiert. Jede  Absturzkneipe in Schwabing/Maxvorstadt scheint sich im Moment für ein Sternerestaurant zu halten. Wahnmoching eben, wie Gräfin Franziska von Reventlow schon im vorletzten Jahrhundert erkannt hat. Ich wanke die Leopoldstraße entlang nach hause.  Werde von dem Sonnenbankgebräunten Szene- und Adabeis- Gschwerl, das vor den Cafes unter den ekelhaften Heizpilzen abprotzt, angestarrt wie ein Alien auf Speed. Scheißvolk. Wenn ich nur diese Tussis, deren IQ wahrscheinlich nicht höher als die durchschnittliche Zimmertemperatur ist, mit IHR vergleiche. Mein Gott.

Wieder da. Natürlich will ich mich noch mehr bedröhnen, finde aber nur noch das gähnend leere Briefchen. Höre, wie mich das Schicksal auslacht. Jetzt ist mein bester Freund auch weg. Von meinen menschlichen Freunden habe ich nämlich genug. Von wegen

„Wird schon wieder werden“, nimm’s nicht so schwer Alter oder auch das allseits beliebte

„Auch andere Mütter haben schöne Töchter“. Bla bla. Ich will keine andere Tochter, ich will meine Frau zurück. Ich liebe sie doch. Außerdem wird mir immer klarer, dass die Typen nur ein exklusiver Klub von Arschlöchern sind, von denen sich nicht wenige  kaum Mühe geben, ihre Schadenfreude zu verbergen. Ich schließe trotz oder vielmehr wegen des Sonnenscheins die Vorhänge und lege Depro-Sound auf. So was wie The Cure oder Joy Division. Gerne auch Mahlers Kindertotenlieder oder seine Siebte. Überlege, ob ich den Typen mit dem Kokain anrufen soll.

Endlich setzt sich der Zug in Bewegung. Die Landschaft wischt an mir vorbei und auf einmal sehe, rieche und höre ich das Meer. Malta. Steinige, heiße Mini - Insel,  trotzdem sehr schön. Liege an einem kleinen Strand. Meine Frau läuft mir in ihrem blau-weißen Wahnsinnsbikini entgegen. Das schönste Wesen auf Gottes Erde. Als sie sich abgetrocknet hat, bittet sie mich, ihr den Rücken einzucremen. Als ich weitermache bis zu ihren Oberschenkeln, regt sich  ein sensibler Teil meines Körpers gewaltig; ach was, Klartext: ich habe einen Ständer, hart wie  Granit. Sie merkt es natürlich und wirft mir einen schelmischen Blick zu. Auf der Stelle könnte ich über sie herfallen. Diese Beine, dieser Arsch, diese Frau. Etwa eine halbe Stunde später sind wir im Hotel. Schon im Aufzug nestle ich an ihrem Bikinoberiteil herum und versuche es zu öffnen. Ich halte es nicht mehr aus. Im Zimmer reiße ich ihr fast das T-Shirt vom Leib, was sie aufreizend kichernd kommentiert. Sie kann so süß schmutzig sein.

„Die Fahrkarten bitte“

Aus der Traum. Verwirrt halte ich dem Schaffner den verknüllten Schein  hin. Habe Kopfschmerzen und furchtbaren Durst. Nichts mehr mit Sommer, Sonne, Liebe.

„Nächster Halt: Markt Schwaben“.

Wenigstens bald zurück in München, von woher auch immer. Steige am Ostbahnhof aus und lösche meinen Brand. Ich will sie zurück, verdammt. Um ihr wenigstens nahe zu sein, komme ich auf die glorreiche Idee, zu ihrer Wohnung in der Römerstraße zu gehen und mich auf die Parkbank gegenüber   zu setzen. Starre auf das Fenster im dritten Stock. Was wird sie wohl gerade machen? Grüble vor mich hin. Deute den Traum im Zug als gutes Zeichen, obwohl ich von Esoterik in allen Variationen rein gar nichts halte. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Zu allem Überfluss kommt jetzt auch noch der Hippie in sein neues Heim. Das ist nun wirklich zu viel des Guten. Viel zu viel. Verschwinde, bevor er mich sieht. Was jetzt? Entschließe mich, doch noch Koks zu ordern.  Das allerletzte Mal, ehrlich. Verabredung in einer Kneipe am Sendlinger Tor. Das Geschäft ist schnell abgewickelt. Im Anschluss koksen und saufen, die ganze Nacht hindurch. War ja auch Sinn und Zweck der Aktion. Heimweg im Morgengrauen. In meinem Zustand komme ich natürlich nicht umhin, einen kleinen Abstecher in die Römerstraße zu machen. Schreie abwechselnd Verwünschungen und Liebesschwüre in den dritten Stock. Solange bis ein Streifenwagen um die Ecke biegt. Wahrscheinlich hat sie der ach so alternative Freak gerufen. Erstaunlicherweise kann ich die Beamten mit der Versicherung, still zu sein und nach hause zu gehen, abwimmeln. Jetzt erst denke ich an das Koks in meiner Tasche. Nach dem ersten Schreck komme ich zu der aberwitzigen Feststellung, dass der Knast wenigstens ein guter Grund wäre, mich wegzumachen. Nicht wegen ihr. Welch ein Triumph. Hat sie es wirklich schon geschafft, mich in den Wahnsinn zu treiben? Ich gehe in einen Park und schnupfe den letzten Rest. BANG! Reißt mir die Schädeldecke vom Kopf. Dann heim im Schwebezustand. Dort grinst mich hämisch der Computer an. Das Hörspiel. Scheiße. Ich beschließe, mich erst einmal auszuruhen. Nach Einnahme einiger Tabletten falle ich in Minutenschnelle in einen komatösen Schlaf. Nach etwa fünfzehn Stunden wache ich wieder auf. Völlig verwirrt. Die Pillen scheinen noch zu wirken. Will mich pushen, aber das Briefchen ist leer. Kein Stäubchen Kokain. Fetzen der Erinnerung kommen. Klar, im Park, das war der letzte Rest. Ich war noch nie der Typ, der sich großartig um das Morgen gekümmert hat, im jetzigen Zustand schon gar nicht.

Vergebliche Versuche am Manuskript. Habe ich jetzt auch noch das Schreiben verlernt? Mein Lebenselixier, sowohl in finanzieller als auch in geistiger Weise. Wenn dem wirklich so ist, dann kann ich mir wirklich die Kugel geben. Vorerst ist es allerdings nur ein willkommener Vorwand, um in die Kneipe zu gehen, wo mein Deckel schon astronomische Höhen erreicht hat. Nach dem zweiten oder dritten Schluck Bier aufs Klo. Zum ersten Mal kotze ich Blut. Jetzt scheint es ernst zu werden. Versuche mit einem Süppchen meinen Magen zu beruhigen. Sinnlos. Ich stampfe  aus der Kneipe und ordere trotzig Koks. Wenn schon saufen nicht mehr geht.

Okay, ich könnte jetzt noch stundenlang von meinen Abstürzen erzählen, aber es ist sowieso immer das Gleiche. Tatsache ist, dass ich sie noch zweimal gesehen habe. Das erste mal zufällig. Nur Austausch von Floskeln,
„Wie geht’s, was machst du so usw.“

Das letzte mal dann, als sie mich überraschend besuchte. Erzählte mir, dass sie in den hohen Norden ziehen würde, ohne Hippie (wenigstens das). Beim Abschied weinen wir beide. Vielleicht war ich ihr doch nicht so egal.

Ich hingegen machte weiter. So weit, bis erst der Handy-Vertrag gekündigt, dann die Bankkarte eingezogen wurde und das Scheißspiel seinen Lauf nahm Das Manuskript ist übrigens vom Sender wegen wortwörtlich „unterirdischer Qualität“ verworfen worden. Höchstwahrscheinlich hatte die Redakteurin mit ihrer Einschätzung auch noch recht. Meine Mini-Wohnung kann ich dank Hartz IV halten.  Verbringe meine Tage saufend auf der Straße,  denn an Kokain ist bei 351€ monatlich nicht zu denken. Bin sogar eine kleine Berühmtheit geworden als der „Straßenpoet“. Stand sogar schon in der SZ. Den Namen habe ich von der Angewohnheit, kurze Texte von mir für einen Euro auf der Straße zu verkaufen. Schrecklich, aber ist nicht Charles Bukowski in einer ähnlichen Lebenssituation entdeckt worden. Ich habe aber das ungute Gefühl, dass mir das nicht passieren wird.