Roland Krause: Juttas Brust
Von außen kann man in „Peters Stuben“ gar nicht reinschauen.
Das klappt deshalb nicht, weil die Milchglasscheiben auch noch hinter verblichenen Vorhängen versteckt sind. Aber wer will da auch reinschauen. Man weiß ja eh, wie es da aussieht. Entweder man geht gleich rein oder nie.
Es gibt solche und solche Menschen.
Einmal drinnen geht man direkt zur Theke oder zu den zwei Stehtischen. Je nach dem, mit wem man gerade näher was zu tun haben will.
Beim Peter gibt's natürlich auch zwei richtige Tische, zur Sicherheit, für Fremde, aber länger als eine halbe Stunde hat es da noch keiner ausgehalten.
Irgendjemand hat dem Peter mal eine Kassette von den Stones zum Geburtstag aufgenommen und seitdem nudelt sie täglich. Wild Horses, zeitlos, vielleicht ist die Zeit hier einfach stehen geblieben, zumindest fließt sie hier so träge dahin wie der Hachinger Bach und rauscht nicht einfach vorbei.
Man ist hier nicht zum ersten Mal, man ist immer hier, oder zumindest regelmäßig, nach Wochentagen oder, wenn die keine Rolle spielen, nach der Wetterlage.
Hinten am Eck sitzt meistens der Joe, bürgerlich Josef Mucher, ehemaliger Braumeister, aber das ist schon lange her.
Jeder hat im Leben vielleicht nur eine Geschichte, denkt er sich gerade.
Er ist eigentlich kein Philosoph, aber das mit der einen Geschichte geht ihm schon länger durch den Kopf.
Der Miller Harti erzählt gerade seine. Er fuchtelt, wie immer, nervös umher mit den Händen, und er nuschelt sich eins, es ist ja schon ein paar Halbe spät.
Von der Route 66 spricht er und der Tour damals mit der Harley und das alles so genial war, das wär das wahre Leben.
Joe kennt sie schon auswendig, auch wenn sie immer ein wenig anders daherkommt, er ist einer der wenigen, der sogar die wahre Geschichte kennt, als der Harti so richtig betrunken war und weinerlich.
Die meiste Zeit hat es nämlich geschüttet und gestürmt, so wie vorher nicht, und hinterher nie mehr in diesem gottverlassenen Winkel vom gelobten Land.
Und die Leihmaschine ist auch ständig verreckt, so dass der Harti die Route 66 im Regen, und zu Fuß kennen gelernt, und sich seinen Ascona her gewünscht hat. Dafür kann er von der Harley jetzt jedes Teil auf Englisch runterbeten.
Manche haben einfach kein Glück mit dem wahren Leben.
Der Joe nimmt einen großen Schluck vom Weißbier und schaut sich um.
Ob er jetzt hier wär oder wo anders oder in Amerika, wär völlig egal, denkt er sich.
Für die Anderen sowieso und für sich auch. Ist ja eh überall dasselbe. Leben muss man allein, das ist die Kunst. Und seine Geschichte, seine eine große?
Vom Bierbrauen erzählt er oft und von der guten alten Zeit, er ist ein ausgewiesener Bierexperte, und dass er gegangen ist aus Stolz. Aber wie das Bier und der Schnaps sein Trost war, als das damals mit der Hanni passiert ist, und wie er vor lauter Trost nicht mehr arbeiten konnte, bis sie ihm einen Tritt gegeben haben, das ist eine andere, wahre Geschichte.
Er schaut sich um. Nicht, dass er meint, da tät`sich was Neues ergeben, Alles und Jeder ist hingepflanzt an seinem angestammten Fleckerl.
Das könnte jetzt auch ein Museum sein, denkt sich der Joe, wenn sie sich mal nicht mucksen täten, wie die Wachsfiguren, oder der letzte bayrische Bär. Vielleicht auch ein Mausoleum. Da ständen sie da, mit ihren Gläsern Hab - Acht, dem Peter seine Terrakotta - Armee.
So geht’s eben zu bei uns.
Und er stellt sich mal vor, wie sie rein spechten würden, die Touristen - trippelnde Japaner und breit stiefelnde Amis - und staunten und knipsten und „ja so was“ und „how nice“.
Und am Abend käm` die Putzfrau daher und tät` ihnen die Spinnweben von der Nase weg wedeln. Und es wär` alleweil gleich, selbst die abgestandene Luft, die sich auch nicht flüchten könnte, nach draußen.
Sogar der Meininger Thomas ist längst wieder da, steht schon wieder hinten, an seinem Platz beim Spielomat, nachdem er eine Zeitlang nicht reingeschaut hat. Weggezogen hat es den, weg aus Untergiesing, ausgerechnet nach Riem, wegen der Wohnungen dort.
95 Quadratmeter Neubau mit allem Pipapo, sogar eine Fußbodenheizung drin - und von seinen vier Töchtern hat jetzt jede ihr eigenes Kammerl.
Der Thomas, freilich, hat sie nicht arg lang ausgehalten, die Zeiten ohne sein gewohntes Kammerl, beim Peter eben.
Und so steigt er jetzt immer in die U2, fährt stracks durch bis zum Kolumbusplatz und schlägt beim „Peter“ auf, als wär` nix gewesen.
Wie er so dasteht, und schwadroniert, mit seinem Blick, der am Automat klebt, wie ein alter Kaugummi auf dem Trottoir, geht es dem Joe im Kopf rum, dass man nicht einfach aus seiner Haut rausschlüpfen kann, egal wie staubig und zerrissen sie daherkommt.
Aber probieren muss du es doch wieder und wieder, eine Schlange ist ein Dreck dagegen. Und am End` lässt du es bleiben, schnäuzt dich und ziehst die Schultern hoch. Und dann merkst du, dass aus der Haut so nach und nach eine Rinde geworden ist, grob und hart wie von einer knorrigen Eiche, so dass sich jede Wildsau dran reiben mag. Und die Zeit setzt fleißig das Schnitzmesser an, und kerbt es dir ein, das Leben. Da brauchst du in keinen Spiegel glotzen, dass spürst du schon morgens beim Aufstehen.
Und da, wo du deine Wurzeln hast, magst du die auch begießen.
Und die Wurzeln vom Thomas haben jetzt schon argen Durst, nachdem sie fast verkümmert sind, im Wohnklotz.
Der Joe nickt kurz, als der jetzt zu ihm rüberstiert. Vier Kinder.
Da drüben am Stehtisch, die Jutta, die lächelt ihm zu und hebt ihr Glas.
Das wär auch ein Trost, die Jutta. Oder überhaupt mal eine Sache zum probieren.
Er trinkt sein Glas auf einen Zug aus, bestellt noch eins beim Peter und plötzlich steht sie neben ihm.
So melancholisch sähe er heute aus, meint sie, mit ihrer Rauchstimme, fast ein bisschen traurig.
Und er überlegt schon, ob er einfach ein bisschen besinnlich tun soll, weil er dann vielleicht ein wenig geheimnisvoll und interessant wirken würde.
Die Düsteren haben ja öfter einen Schlag bei den Weibern. Da stört es auch nicht, wenn die Haare nicht mehr ganz so voll sind, dafür die Hüften breit, wie die Harleyreifen.
Aber an der Jutta gibt's auch keine Stelle, wo man sich anstoßen könnt, kein Eck das nicht gut gepolstert ist.
Dann lachen sie doch noch viel, weil das Traurige ihm nicht so wichtig ist, und ab und zu legt sie ihm die schmale Hand auf die Schulter, wenn sie was erzählt.
Und er schaut ihr immer wieder auf den großen Busen und weiß genau, dass sie das auch merkt.
Die Jutta hat ja einen kleinen Kiosk, bei der Endhaltestelle von der 19er und kriegt viele Geschichten mit von den Leuten, gerade auch die tragischen, aber leicht hat sie es selber auch nicht. Sie musste immerhin die zwei Kinder allein großziehen, nach dem der Mann sie einfach hat sitzen lassen mit den Bälgern. Vielleicht eine Andere oder zuviel Kindergeschrei - oder einfach der Lack ab und nichts mehr hat geglänzt, zwischen den Windeln und dem dreckigen Geschirr.
Immer wieder zeigt sie stolz die Polaroids von den Beiden vor, der Große ist jetzt bei der Stadt, Mechaniker, und das Mädchen arbeitet im Kindergarten, sagt sie, aber mit der hat sie einen Sack voll Sorgen.
Auf dem Bild war die ja süße Zehn und mit Zöpfchen und Trallala, aber in Wirklichkeit schon Neunzehn und ein ausgekochtes Luder.
Auch das weiß der Joe alles, weil der Trost von der Jutta ist ja auch flüssig und hochprozentig.
Jetzt lehnt sie ihren Kopf an seine Schulter und er fragt sie, ob sie ein bisschen müde wär.
Er beißt sich gleich auf die Zunge, denn wenn sie jetzt ja sagt, ist der Abend eh schon auf dem Hund.
Und sie sagt natürlich ja, aber, dass sie sich so gerne mit ihm unterhalten tät', dabei müsst sie schon endlich die Füße hochlegen, wegen dem Stehen, den ganzen Tag.
Der Joe weiß genau was jetzt kommt und überlegt zwei Schluck lang, dann fragt er sie doch, ob er noch mitkommen soll, zu ihr, ein bisschen reden noch.
Die Wohnung von der Jutta liegt im vierten Stock, Mansarde, Joe kommt ganz schön außer Atem, vielleicht deshalb, weil er schon einen leichten in der Krone hat. Im Zweiten muss er mal kurz verschnaufen, ans Geländer gelehnt, bevor er weiterkommt.
Oben dann kruschelt die Jutta so lang in ihrer Tasche herum, bis er schon denkt, sie hätt den Schlüssel verschmissen, und er wär´ umsonst da rauf gekraxelt.
Auf einmal gibt sie die Bavaria und reckt den Schlüsselbund in die Höhe wie den Kranz, bevor sie ihnen glucksend aufsperrt.
Im Flur hängen Bilder in silbernen Plastikrahmen von den Kindern und das von einem Mann, beim Angeln an der Isar. Er zieht gerade einen kümmerlichen Fisch heraus und hat einen dürren, nackten Oberkörper.
Warum sie den wohl aufgehängt hat, denkt sich der Joe, wenn das der Verflossene von der Jutta wär. Den hätte er sich nicht noch an die Wand.
Aber sie geht gleich weiter durch, schwankt auch schon leicht, und er hinter ihr her.
Wie sie die Tür aufmacht, sieht er gleich dass es das Schlafzimmer ist, logisch, weil da ein großes Bett in der Mitte steht. Auf dem Nachtisch ist ein Flasche Weißwein, halbvoll, ohne Glas dazu und auf dem Boden liegt Unterwäsche verstreut. Es mieft ein bisschen.
Das stört den Joe nicht, nach einer Weile merkt man es ja nicht mehr. Die Jutta legt sich gleich auf das Bett und seufzt.
Er weiß nicht recht, ob er sich dazulegen soll, sie hat sogar noch ihre Schuhe an.
Aber da ist ja auch kein Stuhl zum daneben Sitzen.
Dann will sie also nicht mehr reden. Sie hat die Augen zu.
Er streift sich die Schuhe ab und kniet sich vor ihr aufs Bett.
Dass sie es gemütlich hat, sagt er ihr, um irgendetwas zu sagen.
Sie sagt gar nichts.
Das Schweigen findet er ein bisschen komisch, das macht ihn jetzt verlegen. Wahrscheinlich denkt sie, er weiß schon was er machen soll.
Da legt er sich neben sie.
Ihre Finger knöpfen ihm gleich das Hemd auf.
Joe ist schon etwas überrascht und schnauft, dann küsst er sie ein wenig plump.
Weich fühlt es sich an und nachgiebig. Er hat schon gar nicht mehr richtig gewusst wie das ist. Ob man das verlernt?
Ihre Zunge wühlt sich gleich ganz tief in seinen Rachen, zappelt herum wie ein glitschiger Frosch. Er weiß wie das ist, wenn ein Frosch im Mund zappelt, weil er als Kind am Auer Mühlbach mal eine Mutprobe bestanden hat.
Während sie weiter schmusen, greift er nach einer Brust, aber sie schiebt ihm die Hand weg und zieht den Pulli über den Kopf. Dann dreht sie ihm den Rücken zu.
Er zittert ein bisschen, als er den Verschluss von ihrem Büstenhalter aufhakt, aber dann liegen sie auch schon vor ihm. Joe muss an zwei große Spiegeleier denken, wie sie vor ihm auf dem Teller liegen. Guten Appetit der Herr.
Sie macht Ach und Oh als er mit den Lippen an ihnen spielt und versucht dabei sich den engen Rock abzustreifen. Bald liegt sie ausgezogen da und will von ihm wissen, ob er Musik hören will - dabei.
„Dabei“ hat sie so betont und er kann nichts sagen, weil er den Mund voller Brust hat.
Er könnte höchstens schmatzen, aber das will er nicht. So berauscht ist er davon, wie weich und warm die sind.
Sie richtet sich kurz auf und fummelt an seinem Hosenstall.
Am Schluss hat er außer den Socken nichts mehr an.
Er hätte sich noch waschen sollen Untenrum, fällt ihm ein, aber da spürt er schon ihre Hand an seinem Geschlecht.
Sie ist ein bisschen kalt und ruckelt und zerrt an ihm herum.
Er knetet ihre Brüste und sie seufzt noch mal ein bisschen.
Was denn los wär, fragt sie ihn dann wie sie merkt, dass sich da unten bei ihm nichts rührt.
Er hat es schon längst gemerkt.
Aber sie wartet keine Antwort ab.
Er hätte auch keine gehabt.
Abrupt steigt sie aus dem Bett und knipst das Licht aus.
Gut munkeln, fällt ihm ein, wobei er sich nicht sicher ist ob das mit dem Munkeln noch was Richtiges wird. Im Dunkeln wartet er auf sie, ihn friert etwas.
So wäre es besser, hört er sie von irgendwoher sagen. Dann kommt sie wieder zu ihm, ihr Gesicht ist gleich zwischen seinen Beinen. Sie nimmt ihn in den Mund, ganz, wie in eine Höhle, weil er gerade recht klein und nutzlos ist. Hin und her, immer heftiger und auf und ab. Wie sie nuckelt ist es ihm fast peinlich. Wenn sie so weiter macht, reißt sie ihn ab, geht es ihm durch den Kopf, aber er will nichts sagen. Ihre Finger kneten seine Eier, wie beim Plätzchenbacken.
Da spielt sich nichts ab, merkt er, keine Chance.
Immer schneller und wilder wird sie, bis er aufhören sagt. Fast schreit er es. Zweimal muss er es sagen, bevor sie sich wieder neben ihn legt.
Aus ist es mit der Pracht, denkt der Joe, sein Pimmel hat ihn verlassen, gerade dann wenn er ihn gebraucht hätte. Unbeholfen streichelt er an ihr rum, weiß nicht ob er was sagen, oder einfach gehen soll. Eine Gänsehaut spürt er unter seinen Händen.
Scheiße, verdammte, hört er sie murmeln.
Er will von ihr wissen, ob er besser gehen soll.
Das er das doch selbst entscheiden soll, mault sie, aber dann dreht sie sich zu ihm um und umarmt ihn.
Und sie umklammern sich, wie die letzten zwei Menschen die sich irgendwo in der Einöde gefunden haben.
Er spürt ihre Tränen auf seiner Wange und drückt sie nur noch fester. Und plötzlich sind es nicht mehr nur ihre Tränen auf seiner Wange sondern auch seine.
Minutenlang liegen sie da oder Stunden. Er will sich gar nicht mehr rühren, sonst macht er vielleicht was kaputt.
Das er bleiben soll heut nacht, hört er sie flüstern, es muss ja nichts passieren und er fragt sich, wo soll ich sonst noch hin.
Dann muss sie mal schnell aufs Klo und Joe denkt sich, dass er sie gleich wieder umarmen will, nichts anderes will er.