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Geschichten von der Straße von Michi Kampuscher

Marco hat angerufen, ich hab auf seinen beschissenen Anruf gewartet, weil’s mir dreckig ging, weil mein Alter wieder rumgeschrien hat, ich wär zu nix zu gebrauchen, mein ganzes Leben wär jetzt schon verbaut und das Zeug. Meine Prepaid war wieder leer, kein Taschengeld wegen den zwei Fünfern die Woche in der Schule, und Jobs für Leute wie mich, sowas gibt’s bei uns draußen nicht, selbst der Scheiß wie Wochenblatt austragen, da gibt’s eine krass lange Warteliste und wenn du keine Leute kennst, dann kannst du’s eh vergessen. McDonalds läuft auch nicht, obwohl du so ne scheiß Affenuniform anziehen musst, mit Streifen und nem Hut, so nem Barrett oder wie des heißt, nein Schiffchen, das sagt doch alles, Schiffchen, da kotz ich doch, des klingt doch wie was für Arschlöcher - aber auch nicht, selbst da nicht, die Stunde sieben Euro, die ganze Küche voll Kanaken und anderen Pissern, aber mich, ne, weil natürlich zu jung und Haare und was weiß ich.

Endlich ruft er an, Marco, und ich sag, ‚Aloha’, weil fast alle bei uns draußen Aloha sagen, das sagen unsere Leute so, der Philip hat damit angefangen, weil das so ein Gruß aus der Sonne wär, hat er gesagt, der kennt so Zeug immer, aus der Karibik glaub ich ist der und er hat damit angefangen und also sag ich ‚Aloha’ zu Marco und sonst nix, weil was soll ich schon sagen, hab’ halt auf ihn gewartet und hab aber echt kein Bock, wie mein vollidiotischer Vater rumzudissen, bringt nix und mach ich nicht und wahrscheinlich wird er schon einen Grund gehabt haben. Marco hat noch gesagt, ich soll diesen Alohascheiß lassen, ihn würd’ das nerven und ich glaub das liegt daran, dass er mit dem Philip immer so ein Ding hat, weil der zwei oder drei Jahre älter ist und so tut, als ob er deswegen mehr checken würd’.

„Und?“, hab ich ihn gefragt, hab kurz noch überlegt, ob ich noch mal ‚Aloha’ sag, um ihn ein bisschen zu ärgern wegen dem Warten, aber ich hab’s dann sein lassen, weil ich ihn ja treffen will und was machen will mit ihm und keine Lust hab, dass es blöd läuft und wir so hin und her nerven.

„Was geht?“ hab ich gefragt und er hat gemeint,

„Null Plan, und du?“ und ich hab gesagt, dass ich vielleicht noch in die Parkstadt schaun wollte, zur Halfpipe, mit dem Snakeboard, und er hat gelacht und gefragt, ob ich die Halfpipe echt mit dem Snakeboard fahren wollen würde und ich hab gesagt „Mal probieren, warum nicht.“

„Sind doch eh nur Pisser da“ hat er gemeint, „ich hab’ Bock auf Stadt, lass uns zum Stachus, in die Kaufhäuser, schaun was da geht. Die Moni und die Stella sind irgendwo beim H+M“ hat er noch gesagt, „vielleicht treffen wir die ja.“

Ich hatte eigentlich gar keine Lust auf Mädchen, kein Bock auf so’n Scheiß Rumgehänge, die tun alle immer so wahnsinnscool, langweilt mich halt, wie die immer alles voll drauf ham, aber wirklich machen kannst du nix mit ihnen. Nur hab ich gewusst, dass Marco auf die Stella steht, die ha’m vor’m Juze am letzten Samstag geknutscht und ich weiß, dass der Marco sie gern mag, das hat er mir gesagt. Viel lieber wär’ ich in die Parkstadt, von mir aus Fußball oder was weiß ich, aber wenn Marco was will, dann hat er tausend Ideen, warum die andern Pläne keinen Saft haben und ich hab schnell nachgegeben. Wahrscheinlich ist er ziemlich verliebt, zu mir sagt er nur, dass er sie ganz nett findet, aber er mag sie schon echt, dass war nicht das erste Mal, dass er nicht in die Parkstadt mitwollte wegen ihr.

Wir sind in die Stadt, sind am Stachus raus aus der S-Bahn und am Brunnen vorbei Richtung H&M. Bei Pimpkies haben wir uns noch die neuen Sneaker von Adidas angeschaut und Marco hat sich sogar ein Paar in seiner Größe bringen lassen und anprobiert. Er ist im Laden ewig damit rum gegangen und ich hab nur drauf gewartet, dass er losläuft, aber er hat mir nachher gesagt, dass er an der Tür vorn drei Detektive gesehen hätte und deswegen keine Chance dafür.

Wir sind dann weiter, haben auf dem Weg noch Bennie und Max aus unserer Klasse getroffen, aber als wir vor dem H&M standen, war niemand da. Marco war genervt, er hat einfach nix mehr gesagt und ich konnte ihn auch nicht überreden, wo anders hinzugehen. Wir standen rum, standen blöd rum als ob wir auf jemanden warten würden und ich hab noch gesagt, dass sowas ja wohl auch nicht gut kommen würde, wenn man auf jemanden wartet, mit dem man nicht mal verabredet ist, das schaut ja so aus, als ob wir denen nachlaufen würden.

„Wir könnten ja auf jemand ganz anderen warten!“ Marko war echt sauer und ich hab schon überlegt, ob ich geh’, aber auf einmal standen sie vor uns da, und die Lili auch. Sie haben uns mit Kuss auf die Wange begrüßt und dann ging es so hin und her. Ob wir nachher auch noch was Trinken gehen würden, ob wir Karten fürs Lexy-Konzert am Freitag hätten, was weiß ich. War nicht besonders lustig, weil wir eh kein Geld hatten und ich fand es auch komisch, die Lili wieder zu sehen. Sie weiß, dass ich sie ganz gut finde, früher mindestens, und genau an dem Samstag, als der Marco was mit der Stella angefangen hat, kam sie auf mich zu und hat mich angemacht, was ich eigentlich immer so blöd glotzen würde. Ich hab gar nicht geglotzt gehabt, weiß auch nicht, was sie da wollte und das hab ich ihr auch gesagt. „Du hörst einfach auf, mich an zu glotzen“, hat sie dann noch gesagt und ist wieder gegangen, zu ihren Freudinnen, die da standen, und dann haben sie gelacht.

Irgendwann war eine Pause, keiner hat gesprochen, es war ein bisschen komisch, auch Marco hat nix geredet und da hat mich die Lili angeschaut, hat mir in die Augen geschaut und hat mich gefragt: „Wie findest du eigentlich mein Gesicht?“ Ich hab nur geschaut, weil, was soll ich sagen? Lili hat dann weitergefragt, wollte wissen, ob ich finde, dass sei eine schöne Haut hätte. Sie hat meine Hand genommen und hat sie wie so ein Pinsel über ihre Wange gestrichen, mit den Fingern, ich war irgendwie wie aus Stein, und dann ist sie über den Hals weiter bis zu ihrem Ausschnitt und ich hab spüren können, wo ihre Titten anfangen, weil die Haut weicher wurde, nicht wie oben an der Schulter, nicht so viel Muskeln oder Knochen oder Sehnen oder was weiss ich. Die anderen ha’m gelacht, beim Marco hab ich’s nicht gesehen und ich hab zuerst auch kurz gelacht, aber ich glaub, ich bin dann rot geworden und eigentlich wollt ich gar nicht lachen, aber alles ist so schnell passiert. Ich wusste ja, dass alle die Glotzgeschichte kannten, und die haben auch gewusst, dass ich die Lili mal ganz gut fand. Und ich hab mir noch gedacht, dass es wahrscheinlich uncool ist, jetzt zu gehen, aber so was, hab ich mir gedacht, des brauch ich nicht und ich hab zum Marco geschaut und die Hand gehoben und dann hab ich meine Hände als Fäuste in meine Hosentaschen und hab mich umgedreht und bin gegangen.

Marco hat zuerst nix gesagt, und dann hat er aber fast gerufen und zuerst hab ich noch gemeint, dass er mir nachruft. „Wie Scheiße bist du denn, Lili, so was brauchst du?“ hat er sie gefragt und auf keine Antwort gewartet und fast geschrien, dass ich hunderttausend Mal mehr wert wäre wie sie, und sie einfach total arm. „Dumme Votze“ hat er noch gesagt und dann ist er mir hinterher und ich fand das wahnsinnig ok von ihm, weil er halt doch mein Freund ist. Trotzdem war in meinem Bauch so ein komisches Gefühl, ich war so wütend, weil die mich sowas von dissed und ich weiß nicht, was ich getan hab. Zwei Wochen vorher haben wir noch immer so hin und her gesmst, und einmal sogar fast geknutscht.

 

Wir sind dann zurück durch die Fußgängerzone zur S-Bahn, keiner hat was gesagt, ich bin einfach gegangen, einen Schritt vor den anderen, Marco ist mir nach, runter in die S-Bahn, bis wir in einem Waggon drin waren. „Mach dir nix, die is’ eine Scheißkuh“ hat Marco gesagt, „du bist doch viel mehr wert als sie.“

„Keine Ahnung, warum die so was macht“, hab ich gesagt und Marco in die Augen geschaut. Er hat mit den Schultern gezuckt und die Unterlippe nach vorn geschoben.

 

Zuerst sind wir einfach so gefahren, wir ham nicht mal gewusst, in welcher S-Bahn wir sind. Wir haben uns beide hingefläzt und breit gemacht, dass sich keiner neben uns setzen wollte, obwohl es ganz schön voll war. Ich hatte keine Lust zu reden und Marco hat versucht, mich abzulenken. Er hat mir die Stöpsel von seinem Nano in die Ohren gesteckt und ein paar neue Songs vorgespielt, Bushido war dabei, obwohl ich den nie gemocht hab, aber auch ein paar gute Sachen. Dann ist er plötzlich aufgesprungen und wir sind am Harras raus. „Komm jetzt, ich weiß was du brauchst.“ Am Kiosk oben hat er mich auf ein Löwenbräu Dose eingeladen, „Pressbier!“ hat er gelacht, von den Lottoscheinen einen Kugelschreiber genommen und in die Dose gehaun, dann auf meinen Mund gedrückt und den Verschluss abgezogen. Das Bier hat wie blöd gespritzt und ich hab noch versucht, alles zu schlucken, aber da ist total viel daneben gegangen.

„Du aber auch“, hab ich gesagt, nur er hatte nicht mehr genügend Kohle und wir sind wieder zurück zum Gleis, in die nächste Bahn. Wir sind weiter gefahren und ich musste die ganze Zeit so lachen, weil mir das Bier krass in den Kopf rein ist. Ich fand’s noch komisch, dass das mit einer Dose geht, und Marco hat gesagt „Pressbier eben. Jetzt brauchen wir nur noch Nachschub.“ Und dann ist er vom Platz hoch zur Türe, wir waren am Fahren aber da standen drei so Milchgesichter und Marco hat gesagt, dass wir Durst haben, und dass sie uns Geld geben sollen. Das waren so Ritchies, wahrscheinlich aus Solln oder Pullach oder so, Hemden und Shorts und barfuss in so Lederschuhen und ich bin zu Marco vor wie der eine grad gesagt hat, dass wir nicht so rumprollen sollen, des wär hier nicht des Hasenbergl. Das warn echt so  Lämmer, vielleicht zwei Jahre jünger als wir und sicher ’nen halben Kopf kleiner als Marco Fair war des nicht, aber ist es fair, wenn wir angemacht werden? Ist es fair, dass wir nicht mal die Kohle für zwei Bier haben? Manchmal ist es halt so. Marco ist dann ganz dicht vor und wollte ihnen ein bisschen Angst machen, „Maul dicht, du Zwerg“ hat er gesagt „und Asche her.“

Da war dann schon der Typ da, so ein Glatzkopf, keine Ahnung, von wo der herkam. Der hatte eine Tasche in der einen Hand und ein weißes Hemd an, so ein Bürohengst halt, ziemlich groß und schon über vierzig und der hat sich dann zwischen Marco und die Kleinen gedrängt.

„Spinnts ihr, oder was?“ hat er gerufen und Marco ist rückwärts gestolpert, weil der Alte ihn mit den Armen weggeschubst hat und er ist hingefallen, nur auf den Arsch aber er war ganz schön pissed. „Habt ihr nix andres zum tun, als auf Kleinere losgehn? Nix gelernt oder was? Zu blöd für a richtige Ausbildung, oder was? Oder zu faul? Schleichts euch!“ Der war echt laut und hat mich total erschreckt, weil ich hab ihn nicht kommen sehen, war auf einmal da und Marco ist wieder aufgestanden und hat sich zu mir gedreht, hatte total aufgerissene Augen und mich gefragt, ob ich das blöde Arschloch verstanden hätte. Die Leute in der S-Bahn ha’m alle geschaut. Ich hab mit den Schultern gezuckt weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Weil das wahrscheinlich gar keine echte Frage gewesen ist. Natürlich hab ich ihn verstanden.

Der Alte hat die drei Typen dann mitgenommen, er hat gesagt, sie sollen mitkommen und sie in den Gang geschoben und dann zu einer anderen Tür. Marco war total rot im Gesicht, mit einer echten Wut, und ich hab versucht, ihn zu beruhigen.

„Ich schlag der Drecksau den Schädel ein,“ hat er gesagt und er wollte denen hinterher. Ich hab ihn gehalten und hab gespürt, dass er eigentlich gar nicht hinterher wollte, dass ich gar keine Kraft brauch’, um ihn zu halten, obwohl er viel stärker ist als ich.

„Hey des passt schon“, hab ich zu ihm gesagt.

„Was bildet sich die Drecksau ein.“ Marco war gar nicht mehr laut. Er hatte so eine hohe Stimme und ich hatte fast Angst, dass er weinen würde, aber das war natürlich totaler Schmarrn und mir ist noch eingefallen, dass ich nicht wusste, warum er so spät gekommen ist und dass er vielleicht auch Ärger daheim hatte und ein paar Sachen halt. Und dann hatte ich fast Angst, dass ich weinen müsste weil zur Zeit einfach alles scheiße läuft, die Schule, das mit den Mädchen, mit meinem Vater. Marco hat gesprochen, aber ich hab nur seinen Mund gesehen, wie der sich bewegt hat, ganz langsam eigentlich und dann waren wir schon in irgendeinem S-Bahnhof und jemand ist bei unserer Tür eingestiegen und Marco hat mich am Ärmel genommen und mit nach draußen gezogen. Der Typ und die drei Kleinen sind an der anderen Türe auch raus. Wir sind vor und weil da das Geländer von der Treppe war, da wo’s runter geht zur Unterführung, mussten wir an denen vorbei. Ich hab nur einen Schlag gespürt, mitten in die Fresse, und dann war mir kurz schwarz aber ich bin nur in die Knie. Ich dachte, dass wär der Freche gewesen, der das mit dem Hasenbergl gesagt hat. Aber des war der Alte. Ich hab noch seine Hand gesehen und so ein saudummes Grinsen. Ich hab ihn gehasst in dem Moment, weil er scheiße war. Weil er fies war und scheiße, wie alles fies war und scheiße. Weil ich keine Lust habe, immer das Arschloch zu sein. Und ich hab zugeschlagen. Hab gehört, wie Marco gesagt hat, dass ich ihm in die Knie treten soll. Ich hab geschlagen und zamgetreten. Weil er das Arschloch von Englischlehrer ist, der mich immer dann rausholt, wenn’s besonders schwierig ist. Weil er mich nicht mag, weil er mich Duffy nennt, wie die scheiß Ente aus dem scheiß Comic. Weil er mein Vater ist, der immer allen anderen recht gibt und nie zuhört, wenn ich ihm was erzähl. Weil er die Lili ist, die nur dafür da ist, mir weh zu tun, sich lustig zu machen über mich. Ich hab ihn geschlagen, weil ich Blut sehen wollt, weil ich wollt, das alles rot wird, dass er mich schlägt, dass der ganz Dreck aufhört, dieses ganze Ding, dieses ewige Scheißding aufhört und wenn ein Zug gekommen wär’ ich hätt’ alles getan, um ihn vors Gleis zu schieben und mich dazu. Ende, diese Scheiße, wenn ich so scheißegal bin, wenn alles so scheißegal ist, wenn’s niemand gibt, der einem eine Chance gibt, der glaubt, dass man ein Mensch ist, mit Gefühlen, mit einer Hoffnung, dass man auch was will vom Leben und nicht immer nur blöd dastehen und gefotzt werden.

 

Marco hat schon aufgehört gehabt, hat schon längst aufgehört, und zum Schluss hat er mich gehalten, hat mich abgehalten. „Hör auf,“ hat er gesagt, „der ist schon fertig. Lass ihn in Ruh.“ Da lag der Alte am Boden, hat geschnauft wie so ein Köter und die Kleinen haben geschaut mit großen Augen. „Wir müssen abhauen,“ hat Marco gesagt und dann sind wir gelaufen. Aber ich konnte fast nicht mehr und hab mich hinsetzen müssen und dann sind die Tränen geflossen. Einfach so. Dabei war ich gar nicht traurig.