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 The Look of Love von Nikola Schnell

Tell me about your outfit, what are you wearing?
(aus einem Fashionblog)

Also stell dir das so vor: Von oben Schnee, unten latsche ich rum.

Auf der Straße: Überall Trekking-Jacken von Jack Wolfskin. Meine Fresse. Als ginge irgendeines dieser Arschlöcher ernsthaft wandern. Das hier ist ein reiches Land, hier muss keiner scheiße aussehen, nun ja, sie tun es halt trotzdem. Pure Trotzigkeit, wenn du mich fragst. Ein seltsamer, verdrehter Nationalstolz, aber das Tragen identischer bunter Plastikclogs hält keine Ehe zusammen, geschweige denn ein Land. Was meinst du, Josefine?

I’d rather go naked than look like you, das hast du auf ein Laken geschrieben und es an unserem Balkon befestigt, erinnerst du dich? Unten liefen die Anzüge, die beigen Übergangsanoraks und die Deichmann-Stiefeletten aus Plastik. Wir aber mixten unsere Kleider mit Achtsamkeit und liebten uns in der gleichen Weise, mit allen zehn Fingern, so sorgfältig wir es eben vermochten.

 

Ich weiß eigentlich gar nicht, ob dich das überhaupt noch interessiert. Früher, als alles anfing, da war es jedenfalls so, da haben wir selbstgemachte „Style DOES matter!“–Aufkleber auf die U-Bahn-Scheiben gepappt, auf die Fensterfronten von Outdoor-Clothing-Shops und an die Funktionsparkas über den Haken der Unibibliothek. Du hast gesagt: Die textilen Oberflächen der Menschen sind das sichtbarste Symptom ihrer Lieblosigkeit. In unserem Streetstyleblog haben wir deshalb die Ausreißer gefeiert, die Maßlosen, die mit den krassen Frisuren, den Flohmarktbrillen und den Urgroßmutterbroschen. Wir haben an die Heilkraft der rauen Stoffe geglaubt und an jene der glatten. An die Würde im Blick einer Küchenhilfe, wie sie in roten Tanzschuhen steht und ganz gerade guckt, herausfordernd, an ihrem Ausschnitt eine einzelne, mickrige Vogelfeder. Weißt du noch, Josefine, das Mädchen mit der Glatze und dem neonpinken Lidschatten? Drei Sekunden lang bloß hielt sie still, mehr brauchten wir nicht, sie atmete vor dem runden, sanften, geöffneten Auge meiner Digicam…

Klick.

Abends stellten wir die Bilder dann online.

Die Geschichten der Menschen auf der Straße haben nichts zu tun mit Esprit-Postern. Sie kleben an einem besonderen Schal, einem Absatzschuh, ihre Träume pappen an verrückten, ganz und gar unmöglichen Hüten.

 

Mit früher ist das so eine Sache, weißt du. Wenn man zu viel über früher redet, bekommen die neuen Leute die Krätze und rufen dich nicht mehr an.

Jetzt gerade laufe ich, atme und trage dabei: ein moosgrünes Longsleeve von Urban Outfitters, einen Vintage-Cardigan und einen dicken Oversize-Schal von American Apparel, den du mir mal geschenkt hast. In meiner linken Hand halte ich meine Kamera, die Handschuhe sind von Alexander Wang und lassen die Fingerkuppen frei, mit denen ich aus der glatt rechts gestrickten Wolle in die Temperatur der Stadt hineinfühle. Kein Wind ist da, nur schnörkellose, direkte Kälte.

Hör zu, Josefine. Ich…ich denke daran, wie du aussiehst, in einem Rollkragenpullover von Stine Goya oder so. Auch daran, wie du nackt bist, das ist ja eh klar, ich erwähne es nur der Vollständigkeit halber und nicht, um dich zu langweilen. Ich denke aber auch daran, wie du auf dem Klo sitzt oder dir die Nase putzt. Ganz ehrlich. Wie du nachts um drei betrunken bist und versprichst: Wenn du mir jetzt umgehend eine Büchse mit Tortellini organisierst, dann, ja dann…

Na ja, das stelle ich mir eben auch vor.

 

In der City kaufe ich mir erst einmal einen Kaffee mit Sojamilch to go und schlappe dann dementsprechend weiter Richtung Hauptstraße. Bist du noch da, Josefine?

Hinter einer Glasfront minderjährige H&M-Aushilfen mit balkendickem Lidstrich, wie du ihn nie getragen hättest. Daneben Schaufensterpuppen in Paillettenkleidern, das ist natürlich der übliche Weihnachts-Sylvester-Schrott. Glitzerbolerojäckchen. Ein Wort mit dem Sex einer Jungfrauengeburt.

Klick. Eine 19-jährige, die eine pinke Kindergartentasche trägt zu einem Uraltkleid von Chanel. Ganz okay, finde ich.

Ich schreibe Bettina eine Antwort-SMS. Auch wenn sie mich Schatz nennt, stell dir das mal vor, Josefine. Du hast mich immer nur beim Nachnamen genannt, wie einen Kumpel, und dann hast du meine Hände auf deine Brüste gelegt.

Weißt du, das ist nicht so einfach, sondern das ist so: am Morgen wird’s halt hell, während ich die Mails checke, da ist Bettina nicht dabei, und am Abend seh’ ich den Mond den Himmel hochjuckeln und mach mir ein Bier auf. Dann höre ich den Fön im Bad und das Zähneputzen, weil Bettina jetzt da ist, was ja nicht das Geringste ist, was man sagen kann über einen Menschen.

 

Klick

In der Brahmsstraße knipse ich dann drei Mädchen in Latexleggins. Was natürlich ein alter Hut ist, aber der schroffe Bürstenhaarschnitt der einen ist immerhin derart provinziell, dass man ihn schon fast wieder ernst nehmen könnte. Ich notiere Carla, Marie und Lea. Kaum habe ich mir eine Zigarette angezündet und den Rauch ganz unten in der Lunge, finde ich diese Frisur dann irgendwie doch total scheiße und lösche die ganze Serie, die mir direkt peinlich ist vor mir selbst. Ich rufe Bengt an und verfluche ihn dafür, dass er mich in diese Scheißstadt geschickt hat, wo doch jeder weiß, dass die sich hier noch schlechter anziehen als die Stuttgarter. Bengt sagt jovial, ich solle mich locker machen und ich brülle, er solle sich ins Knie ficken. Bengt sagt: „Komm mal klar.“ Ich entschuldige mich, die angelutschte Kippe zwischen den kalten Lippen, und lege anschließend schnell auf, bevor Bengt noch etwas sagen kann, das einen Sinn macht.

 

Am liebsten würde ich unseren Fashionblog verkaufen. Von mir aus an einen Scheißkonzern, an Drecks-Bertelsmann oder die Burda-Fritzen, ist mir doch egal, wie die Idioten heißen. Bengt hat ohnehin Fotos verkauft an die InStyle, das war letzte Woche. Den letzten Fotoband haben sie im Deutschlandradio rezensiert, die Frau vom Zeit-Magazin hat einen Fotografen geschickt, der mich und Bengt inszeniert hat mit Windhunden. Gott weiß, wieso mit Windhunden. Ohne Erfolg krame ich nach meiner Ray-Ban, gegen den Schnee und sein Gefunkel und das Geflenne wegen nichts, wieder nichts und dir.

 

Die Typen alle mit I love New York-T-Shirts.

Ich suche mich selbst in der Spiegelung einer Autofensterscheibe. Meine Frisur sieht so sorgfältig aus, dass ich erschrecke. Ich sehe immer mehr aus wie Bengt. Das macht mich echt fertig, so fertig, dass ich dir dann doch wieder eine SMS schreibe. Bengt baut nur Scheiße, tippe ich mit dem rechten, schwarz lackierten Daumen. Er will jetzt eine Parfumserie. Was meinst du dazu, Josefine? Was soll bloß aus dem Blog werden ohne dich? Sonst geht’s allerdings Bombe. Seitdem du weg bist, kann ich endlich wieder bei offener Klotür kacken und das macht einen Heidenspaß, das kannst du dir so sicher gar nicht vorstellen. Dann speichere ich die SMS im Ordner unter Entwürfe, so wie die dreiunddreißig anderen Textbotschaften, die ich dir geschrieben habe, seitdem du dein Handy kaputt gemacht hast.

 

Früher, da hattest du ein i-phone und ich hatte dich.

Weißt du noch, wir waren in Stockholm, für den Blog, und, jetzt fällt es mir auch wieder ein, geschneit hat es da auch. Du trugst die Stulpen deiner Großmutter aus Litauen, eine Missoni-Strickhose, eine Sonnenbrille mit senffarbenen Gläsern in Herzform von einem Flohmarkt, an den ich mich gar nicht mehr erinnern kann (was mir jetzt natürlich leid tut).

Stockholm also. Um uns herum stapften alle rum in diesen Boots von Viking und kombinierten dazu flattrige Hemdchen, eine Strumpfhose, graue Männerschals, nichts weiter. Du hast Vegemite-Sandwiches gegessen und laut geschmatzt dabei und ich habe diese Schwedinnen glattweg für verrückt erklärt. Ich finde es groß, so zu frieren, bloß für den Moment, hast du gesagt, bloß, um mich zu ärgern. Ich fror, meine Kamera schnappte in einer Tour wie ein Fisch. Ich bin in die Knie gegangen wegen eines besonderen Paars Din Sko-Schuhe. Dann hast du mir ins Ohr gerülpst und in dein Sandwich gebissen; später gossen wir heiße, braune, 80-protzentige Schokolade aus der Thermoskanne in unsere Puh-der-Bär-Becher. Mit uns war das so: Wir haben uns angefasst ohne Teelichter und uns geküsst, ohne es uns vorzunehmen.

 

Josefine, wenn ich an dich denke, dann weiß ich gar nicht: will ich weinen oder hingehen und irgendeinen verhauen, der gar nichts dafür kann; für dich nichts und für mich auch nichts.

Nein, Josefine, wahrscheinlich möchte ich doch eher weinen. Denn, du weißt schon, ich bin eine feige Sau wenn’s drauf ankommt, aber zu meiner Verteidigung: wann kommt’s schon mal drauf an. Eigentlich nie. Und wenn’s dann doch mal soweit ist, hat man’s schon verpasst, weil man zu besoffen war oder zu langsam oder weil man im Klo stand und geheult hat wie ein Mann.

Es schneite also damals auch, in Stockholm, ich sagte es bereits. Es tat dies übrigens in rauen Mengen. Ich zitterte die Kungsgatan auf und ab und du hast mich ausgelacht; in einer Schneebar trankst du übertrieben bunte Cocktails mit der estnischen Bedienung, die zu allen anderen unfreundlich war und der ich kein Trinkgeld gegeben habe. Du bist in die Sauna gegangen und ich aufs Klo (ich vertrage Cocktails generell nicht). Später lagst du dann nackt auf unserem Hotelbalkon im Liegestuhl und du hast die vorbeikommenden Touristen gegrüßt in ihren Norway-Pilotenjacken mit Kusshand, und ich hätte schwören können, dass sie es waren, die sich falsch angezogen fühlten in diesem Moment.

Ich dagegen saß drinnen. Glotzte eine schwedische Ratesendung, die ich nicht verstand und rauchte schwedische Zigaretten, die mich halbwegs verstanden. War natürlich eifersüchtig wie bescheuert. Aber: Im Grunde war das Glück ja sowieso da, auf eine schmerzhafte Weise, mir fiel nur sein Namen nicht ein, an diesem Abend.

Als du wieder reinkamst vom Balkon, da hast du geglüht am ganzen Körper und wolltest mit mir nach Katmandu oder Cape Canaveral. Jetzt, sofort, und bloß, weil’s so schön klingt. Ich habe nicht geantwortet, sondern deinen kleinen, kalten Mund geküsst, was dich, das hab ich bemerkt, enttäuscht hat (du hast mich gebissen). Eines Tages, hast du gesagt, da fahren wir nach Katmandu, das schwöre ich, und schicken jeden Tag Briefe. Wir schicke Briefe und schreiben darin, dass wir Bergschuhe tragen und bunte Poncho und außerdem, dass das nackte Kind auf dem Foto unseres ist. Wir schreiben: Das Bier schmeckt hier zum Kotzen, die Nacht kitscht unentwegt rum mit ihren Sternen. Ihr sehr geehrten Affenärsche, wir vermissen euch nicht.“

 

Ich, wieder, jetzt. Mein Tisch steht nur an einem Menschen, was klar geht für beide von uns. Ich sitze in einem Outdoor-Café, in dem sich die hiesige Schickeria unter Quilt- Decken mit Breton-Streifenmuster gepackt hat.

Alle tragen wieder Stahlkappen-Boots von Dr Martens zu Chinos, das habe wir auch auf wearyoursoul. blogspot.com gehabt, allerdings letzten Herbst und auch nur gegen den Widerstand von Josefine. Chinos sind definitiv Bengt-Hosen, er sieht sogar gut darin aus, was keine Entschuldigung für modische Allgemeinplätze ist. Entweder man ist ein Fashion-Guerillo oder nicht, das hat mit Charakter zu tun, was schade für Bengt ist.

 

Als du gegangen bist, Josefine, trugst du ein Shirt von Topshop mit Zebras drauf und ich die runde Summer-of-Love-Sonnenbrille, die wir beim Einzug gefunden hatten über dem Herd. „Wir waren jung und dachten, wir könnten die Welt verändern“, hast du gesagt und auf die Brille gezeigt, aber ich weiß nicht, ob du bloß die dämliche Werbung gemeint hast, in der sie das immer sagen, wenn sie einen dazu bringen wollen, Oldie-CDs zu kaufen zu ungerechtfertigten Preisen.

 

Als du gegangen bist, Josefine, da hast du die Brille da gelassen, auf meiner Nase, und mich gleich mit. Ich saß auf einem Holzstuhl in der Küche. Ich habe dem Ende mit schief gelegtem Kopf dabei zugesehen, wie es sich breit gemacht hat in unsrer Wohnung wie ein überpünktlicher Nachmieter mit dem Zollstock. Ich sagte es schon, wenn es drauf ankommt, bin ich eine feige Sau.

 „Denkst du nicht, es könnte helfen“, habe ich gesagt und cool gegrinst dabei und meine Arme um meine Knie geschlungen, „wenn wir uns jetzt ausziehen, mit ätherischen Ölen einreiben und über unsere Gefühle sprechen?“ Es war ein Witz und das hast du gewusst; du hast gelacht und mich gestreichelt an einer nichterogenen Stelle, deine Taschen standen da schon gepackt im Flur.

Denkst du nicht, es könnte helfen, wenn ich dich hielte.

Das habe ich nicht gesagt, Josefine. Und dann bist du gegangen und ich habe gewartet, auf Karten aus Katmandu oder sonst wo, adressiert an mich, mein sehr geehrter Affenarsch, ich vermisse dich nicht, aber du hast keine geschrieben.

 

Klick. Der alte Herr, den ich dann vor der kleineren Stadtkirche fotografiere, trägt einen verschossenen Anzug, dessen Marke er selbst nicht kennt und dazu lila Sneakers. Auf dem Kopf: Ein Hut. In der Hand: Ein Gehstock, ich weiß nicht, ist er nötig oder bloß Accessoire, der alte Herr wiegt den Kopf und lacht und verrät nichts.

Bengt wird das Foto nicht leiden können aber du, Josefine, du hättest es gemocht. Bengt knipst überhaupt kaum noch. Er sitzt im Büro und bekommt jeden Tag Klamotten geschickt; er flakt jetzt vorn in der ersten Reihe bei der Fashionweek in Mailand und auch bei der in Stockholm. Und neben ihm, da sitze ich.

Mittlerweile laufe ich wieder Richtung Bahnhof. Einer mit Gitarre singt Angie von den Stones, weil das immer irgendeiner tut, der es nicht kann. Josefine, bist du bei mir? Bengt und ich, wir sind jetzt irgendwie Popstars und in den Zeitschriften trauen sie sich, uns Künstler zu nennen, weil das ziemlich viel besser klingt als Friseure.

 

Bengt hat dich ja zuerst besucht, das muss man ihm lassen. Irgendjemand war bei uns im Büro aufgetaucht und hatte uns diese Geschichte erzählt, die Geschichte, wie du am Marktplatzbrunnen wieder aufgetaucht bist von irgendwoher. Und dass du dein Handy da drin versenkt hättest.

Als Bengt dort gewesen war, bei dir, und wiederkam, da hat er eigentlich nur von deinen Haaren erzählt. Und wie der nichts anderes erzählt hat als diese Sache mit deinen Haaren, da hab ich es das erste Mal mit der Angst bekommen. Aber ich hab mir auch gedacht: Bengt eben, der ist imstande und besucht Josefine und erzählt dann nichts als Geschichten über ihre Haare.

 

Bettina, sie war nicht da, als ich zu dir gefahren bin. Ich habe herumgekramt in meiner Wohnung und meine alten Scheren gefunden und dann hab ich sie geschliffen und eingepackt, es waren fünf Stück. Ich fuhr zehn Stationen mit der U-Bahn. Nie hätte ich gedacht, dass du mir so nah bist.

Beim Aussteigen wog meine Tasche fast nichts, meine Scheren waren leicht und silbern und mein Laptop im Büro. Ich bin durch die Straßen gegangen und es hat nicht geschneit. Als ich ankam dort, bei dir, musste ich durch den Garten gehen, es war ein schöner Garten, ich trug einen Mantel von Weekday.

Du trugst einen Jogginganzug.

 

Ich habe dann deine Haare gewaschen. All das Verklebte und auch das Fettige. Meine Scheren habe ich auf deinem Nachtisch ausgebreitet, zusammen mit meinen Kämmen. Draußen, auf der Straße, fing es an zu regnen und die Schwestern der Nachtschicht bremsten mit ihren Mountainbikes knapp vor dem Gebäude; sie trugen Jack-Wolfskin-Jacken und Plastikclogs, in allen Farben des Regenbogens.

 

Ich aber stand über dich gebeugt und habe deine Haare in Ordnung gebracht, mit allen zehn Fingern, so sorgfältig ich es eben vermochte.