Romina Pleschko: Die Korrektur
Alles grandios, wie immer, kann mich nicht beklagen, es läuft, wie es läuft. Sorgen mach dir morgen, mit ein paar Wörtern, die alle mögen, kommst du sicher über den Tag. Aber danke der Nachfrage, und schön, dass du den Mut hattest zu kommen.
Wer weiß, eventuell bin ich ja wirklich irre, aber damit kokettiere ich gerne, ich fand Irre schon immer besser als zum Beispiel Iren, musste ich ja zwangsläufig, wenn man sich unsere Familie ansieht. Viele Irre, keine Iren, vereinzelte Legastheniker und alle paar Jahrzehnte ein Pädophiler mit schlechtem Haarschnitt. Schau nicht so pikiert, das steht dir nicht, der Haarschnitt war wirklich grauenhaft, wie mit dem Brotmesser abgesäbelt, eine Ode an die ungewollte Asymmetrie. Man könnte meinen Zustand übrigens auch geistige Indisposition nennen, das fetzt rein, aber andererseits, warum sollte man? Es wäre mindestens ebenso verlogen wie die gängige Politik der Haubenlokale, in denen man vier Gänge wohlbenannte Nichtigkeiten serviert bekommt und danach immer noch Hunger hat. Meine Speisekartenkorrektur haben sie übrigens nicht angenommen im „le arschgesicht", der Hang zur Wahrheit scheint dort nicht sehr ausgeprägt zu sein. Allein schon der Kellner, ein mausgesichtiger Schwächling, der so tat, als würde er meine Schönheit zu schätzen wissen und eigentlich in Gedanken den Schwanz meiner Begleitung vermaß. Besagter Schwanz war nebenbei bemerkt dreimal so groß wie mein Hauptgericht. Ich war hungrig und genervt nach diesem Abend, Unterzucker bringt schon seit der Kindheit die unschönsten Facetten meiner Persönlichkeit an die Oberfläche, aber das weißt du ja, erinnerst du dich, als ich dir ein kleines Stück Fleisch aus dem Unterarm gebissen habe, weil du mir keine Eierspeis kochen wolltest? Eierspeis ist mir nun mal sehr wichtig. Bis heute denke ich, dass ich aus Versehen das Gebiss eines Raubtieres habe. Eine Laune der Natur.
Jedenfalls hatte ich mich dann zuhause, der Schwanz war mir irgendwo zwischen dem Restaurant und der ersten Kreuzung abhanden gekommen, sofort an die korrekte Neuformulierung der vier Gänge gemacht. Die Speisekarte musste einfach dringend überarbeitet werden, und ich übernehme so etwas ja gerne. Die Vorspeise, gedünstete Schnecken, Escargots, war grundsätzlich nicht verkehrt, aber in der Zubereitung derartig unambitioniert, der Koch schien wohl ernsthaft zu hoffen, dass alleine die Exotik der Zutaten ausreiche. Ich erinnere mich, dass ich einmal beim Spielen im Garten aus Wut über die Nachbarskinder versehentlich mein Karamellzuckerl ausgespuckt habe. Es fiel ins ungemähte Gras und mein Ärger hatte sich schon verdoppelt, bevor es überhaupt die Erde berührte. Mein kostbares Zuckerl, das ich extra aufbewahrt hatte, um mir den Appetit vor dem Essen zu verderben. Ich habe ja schon immer aus Prinzip nur zu den unmöglichsten Uhrzeiten gegessen. Also gab es keine andere Option, als im Gras zu wühlen und mir das Ding so schnell wie möglich wieder in den Mund zu schieben, bevor noch jemand auf die Idee kam, aus dem Fenster zu sehen. Leider entsprach das Zuckerl dann nicht mehr meiner geschmacklichen Erinnerung, sondern war zur kleinen Nacktschnecke geworden, die in Todesangst meine Zunge mit einem derartig hartnäckigen Schleim überzog, dass ich ihn tagelang nicht ganz loswurde. Immerhin hatte mein Plan funktioniert, denn Lust aufs Mittagessen hatte ich danach keine mehr. Ein ähnliches Essgefühl drängte sich mir im „le arschgesicht" auf, denn die Escargots einfach nur weichkochen und auf Blumenbukett arrangieren, so wie dieser furchtbare Koch, kannst selbst du. Deswegen mein Vorschlag für die Karte: „Nackte Schnecke im grünen Deckmäntelchen der frankophilen Phantasielosigkeit".
Ich hätte gehen sollen, das wäre konsequent gewesen, aber du kennst mich ja. Ich sitze es lieber aus, während meine Organe zu kleinen knorpeligen Wutbröckchen verköcheln. Es betoniert mich immer fest ein in solchen Situationen, ich weiß auch nicht warum. Dabei hat sich der Schwanz echt Mühe gegeben und sogar ein neues Hemd gekauft. Er hatte leider vergessen, das Preisschild abzumachen und bemerkte das erst, als er es in die violette Kartoffelrahmsuppe mit Trüffelöl tunkte. Ich hätte ihn warnen können, aber ich hatte für den Abend nur mehr 237 Buchstaben übrig und ein simples „Achtung" als Warnung ausgesprochen verschlingt ja alleine schon drei Rufzeichen. Die Suppe war lauwarm, was ich grundsätzlich nicht verkehrt finde, aber dadurch drängte sich das Aroma des Trüffelöls derart schmierig in den Vordergrund, dass mir fast übel davon wurde. Trüffelöl ist eine der größten kulinarischen Lügen unserer Zeit, hör sofort auf zu lachen, jedem denkenden Menschen muss doch klar sein, dass man aus dem edelsten Pilz der Welt nie im Leben ein Öl pressen würde. Ich habe statt zu essen einfach nur Brotstücke in der Suppe versenkt und den Kohlehydraten beim Sterben zugesehen. Irgendwann musste ich deswegen ein bisschen weinen, bin ja kein Unmensch, und ich befürchte, dass der Schwanz mich spätestens ab diesem Zeitpunkt etwas eigenartig fand. „Profilneurotisches Industriearoma in lauem Flüssigerdapfel" ist einigermaßen passend, findest du nicht? Übrigens hatte mein Wasserglas einen Sprung, das darf in einem Restaurant dieser Preisklasse nicht passieren. Nein, natürlich habe ich mich nicht beschwert, ich bin aber beim Trinken immer mit der Zunge den Sprung auf und ab gefahren, in der Hoffnung, mich zu schneiden, berufsunfähig zu werden und die Genesungskarte vom Restaurantbesitzer unbeantwortet am Schreibtisch herumliegen zu lassen. Jaja, ich weiß, du bist da direkter, aber mir ist die klassische mündliche Beschwerde eben höchst zuwider.
An den Hummerravioli mit Pecorinoschäumchen hatte ich grundsätzlich nichts auszusetzen, abgesehen davon, dass es EIN Ravioli war und das Schäumchen die Vergänglichkeit dieses Gerichts nur zu gut unterstrich. Ich habe es auf die Gabel gespießt, gewartet, bis der Kellner zu uns herübersah, das Ravioli dann als Ganzes in meinen Mund geschoben, zweimal gekaut, geschluckt, geseufzt und laut gesagt: „Ich glaube, das war köstlich." Der Schwanz hat sich, denke ich, etwas für mich geschämt, in Zukunft führt er wohl nur mehr appetitarme Ja-Sagerinnen aus, aber 23 Euro für eine Gabel Teigware mit zugegebenermaßen erlesener Füllung kann ich einfach nicht völlig unkommentiert stehen lassen. Ich habe den Gang also in „Träumchen mit Schäumchen" umbenannt, ganz zufrieden bin ich nicht damit, aber wie gesagt, geschmeckt hat es einwandfrei. Hör sofort auf zu lachen, ich hasse das, wenn du mich nicht ernst nimmst. Denk an mein Raubtiergebiss, hier ist das Essen nämlich eine absolute Zumutung, dein Unterarm wäre wirklich eine willkommene kulinarische Abwechslung.
Nein, den Schwanz habe ich nie wieder gesehen nach diesem Abend. Ich kann ihn nennen wie ich will, außerdem weiß ich wirklich nicht mehr, wie er hieß, aber ich glaube mich zu erinnern, dass ein Vokal in seinem Namen war. „Roland" wäre ja zum Beispiel eine weitaus größere Unwahrheit als Schwanz. An dem Tag wo ich ihn kennenlernte, war ich ziemlich betrunken, er bemerkte aber gottseidank nichts. Ich mochte seine tiefe Stimme und die Adern auf seinen Unterarmen, aber leider war ich nicht fähig, sofort herauszufiltern, dass das, was Schwanzens wohlklingende Stimme ausformulierte, mich in Zukunft noch unglaublich langweilen sollte. Er hat nicht einmal einen bestimmten Frauentyp, und ich kann solche Männer nicht leiden, man muss doch wissen, was man will, und mit dieser aufgesetzten Toleranz wollen sie sich doch nur alle Türen offen halten. Ich meine, ich hab ja sogar zu Tiefkühlerbsen eine fundierte Meinung, nur schockgefrostet aus dem Marchfeld und nirgendwoher sonst, und der Schwanz kann nicht einmal seine Lieblingshaarfarbe benennen. Das konnte ja nur scheitern, ich hätte es wissen sollen. Ich darf vormittags einfach nicht mehr trinken, dann wäre mir das alles erspart geblieben. Der Schwanz war so nett und zuvorkommend, der Einzige, der mir half, meine Einkäufe wieder einzusammeln, als mir das Einkaufssackerl mitten am Zebrastreifen aus der Hand fiel. Schwäche wirkt anziehend, und Wodka riecht nach nichts.
Gestern hatte ich den ganzen Tag lang so ein undefinierbares Hare- Krishna- Gefühl, das war ziemlich seltsam. Ich bin ungewöhnlich beschwingt durch den Park gelaufen, habe dort Blumen gepflückt und die kargen Gänge damit geschmückt, ohne zu wissen, woher diese Unmenge an Energie plötzlich kommt. Ich habe mich sogar geschminkt und meine Haare gekämmt, obwohl ich sie letzte Woche noch abschneiden wollte, weil mir ihre Pflege unbewältigbar erschien. Jedenfalls war mein Therapeut positiv überrascht von meinem überraschenden Tatendrang und meinte, dass ich große Fortschritte gemacht habe. Ob ich nicht an der Gestaltungstherapie teilnehmen möchte, da ich ja offenbar einen Hang zu ästhetischem Ausdruck hätte. Und weißt du, warum ich nichts von Therapeuten halte? Weil ich am Abend in meinem Zimmer den wahren Grund für meine ungewöhnliche Energie bemerkt habe. In meiner kleinen Handtasche hat eine Packung Tic Tac den ganzen Tag hindurch rhythmisch vor sich hin gerasselt, tic tac, ticcedi tak, wie auf einer Galere, wir haben uns sozusagen gegenseitig angespornt. Ich habe daraufhin gleich alle auf einmal gegessen, Minzgeschmack, und das war’s dann auch mit meiner Energie, Konditionierung macht mir Angst, vor allem, wenn ich sie nicht mitbekomme. Kannst du bitte das Fenster hinter dir zumachen? Ich mag es viel lieber stickig, aber das toleriert hier einfach niemand. Frischluft ist doch reine Geschmackssache.
Das Dessert hat mich dann wirklich provoziert, denn der mausgesichtige Kellner hat es mit einem derart widerlich verschwörerischen Grinsen serviert, dass ich ihm das Schokoladenküchlein mit heißem Flüssigkern aus Valrhona Schokolade auf Mango-Limetten-Spiegel mit Walderdbeerchips gerne mit Nachdruck aufgesetzt hätte. Ich bin alles andere als eine Emanze, der Schwanz musste schließlich das ganze Essen bezahlen, aber bei einer Frau automatisch eine dümmliche Vorliebe für Schokolade vorauszusetzen, finde ich ungemein diskriminierend. Natürlich habe ich mich am Flüssigkern verbrannt, wie sollte es auch anders sein, ich konnte noch drei Tage später die Haut mit der Zunge von meinem Gaumen schälen. Beim zweiten Anstich schoss die edle Schokolade quer über das weiße Tischtuch, was ich recht befriedigend fand. Ich habe es dann liegen lassen, generell halte ich nichts von Speisen, die mich blamieren oder verletzen, da bin ich eigen. Der Schwanz fand meine Süßspeisenverweigerung auch völlig in Ordnung und hat das braungelbe Desaster mit roten Tupfen auf meinem Teller aufgegessen, was auch gleichzeitig der intime Höhepunkt unseres Abends war. Mittlerweile war auch die Kommunikation zum Stillstand gekommen und das Schaben der Gabel war das einzige Geräusch an unserem Tisch. Ich hatte unter dem Tisch einen Schwan aus der Stoffserviette gefaltet und verknotete ihm den Hals. Auf die obligatorische Frage „Hat´s geschmeckt?" habe ich dann mit „Scheißt der Papst in sein Hauberl?" geantwortet, keine Ahnung warum mir das gerade einfiel, das Lachen des Kellners klang jedenfalls etwas gepresst, während ich aus den Augenwinkeln ganz genau sehen konnte, dass der Schwanz mit entschuldigendem Lächeln die Schluckspechthandbewegung machte. Du weißt schon, die Faust mit weggespreiztem Daumen und kleinem Finger, die man wippend Richtung Mund führt. Dezent ist das ja nicht gerade. Dabei hatte er weitaus mehr getrunken als ich. Das Dessert habe ich umbenannt in „Eine braune Gefahr für die Emanzipation. Achtung, heiß.", das hinkt zwar irgendwie, aber passt deswegen umso besser zur Frauenbewegung.
Ich verstehe nicht, warum sie im „le arschgesicht" meine Korrekturen so vehement abgelehnt haben. Irgendwann geht das tägliche Porto auch ins Geld, nur deswegen bin ich immer persönlich dort aufgetaucht. Es ist ja nicht so, dass man mit mir nicht reden könnte. Unangenehm das Ganze, sehr unangenehm. Nicht einmal den Kellner wollten sie feuern. Das Mausgesicht hat mich "hinausbegleitet", das hättest selbst du dir nicht gefallen lassen, glaub mir. Ich hab ja keine Chance hier wieder rauszukommen, bevor ich nicht glaubwürdig diese Wurschtigkeit nachspielen kann. Oh nein, es ist ja ganz und gar unwichtig, wie man Speisen benennt. Ja, ich weiß, wie peinlich, damit kompensiere ich meine tiefen Sehnsüchte nach Ordnung und einem geregeltem Leben, was wiederum auf einer ganz existentiellen Verlustangst fußt. Oder auf Misshandlung. Bitte kreuzen Sie an, was Ihnen genehm ist, ich kann mit jeder Diagnose umgehen. Soll ich weinen? Besser vorher schreien, denn das ist dann die ganz klassische Entwicklung zur Selbsterkenntnis, oder?
Oh, hast du gesehen wie spät es schon ist, ich glaube du solltest schön langsam aufbrechen, wir haben uns ja ordentlich verplaudert. Grüß mir ja niemanden. Mein Abendessen müsste jetzt eigentlich demnächst kommen, zehn nach sieben, die verspäten sich jeden Tag. Ich bin gespannt, ob sie wieder einmal die Eierspeis vergessen haben.