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Roland Keschel - Auf der Wiesn

Das Wochenende war vorbei. Es war Sonntag und die Dinge waren nicht gut gelaufen. Ich hatte wenig erfolgreich gearbeitet, den ganzen Samstag bis tief in die Nacht, hatte bis Mittag geschlafen. Auf jeden Fall war klar, dass ich diesen Sonntag Nachmittag für niemanden, den ich treffen würde, eine Bereicherung sein würde. Ich war schlecht gelaunt.
Und ich war verabredet.
Es war Wiesnsonntag, erster Wiesnsonntag, und Thomas und ich hatten Tage vorher schon ausgemacht, uns zu treffen. Er stand da, als ich ankam, am Alten Messeplatz oben auf der Theresienhöhe, Blick streift die am Hang gesetzten Büsche und fällt auf das ganze Oktoberfest, Zehntausende ameisengleich; und alle neuen Fahrgeschäfte; und die Biertempel. Majestätisch abstoßend.
Die Maß im Außenbereich des Hofbräu war begleitet von wilden amourösen Berichten meines Gegenüber, männlicher Stolz der überschäumt wie Bier aus einem falsch gelagertem Fass und mich als Auffanggefäß benutzte – ich schien dankbarer Zuhörer zu sein, es wollte nicht enden. Ich war ja auch ziemlich aufmerksam, Vergleichbares hatte ich noch nicht erlebt. Bei Erzählungen von Erfahreneren bin ich – dem sich die weibliche Seele nie offenbart hat - immer wieder platt. Was die mit sich machen lassen - physisch wie psychisch!
Um uns herum junge Familien, Ehepaare, die sich in der warmen Nachmittagssonne ein Bier teilten, die Kinder am Spezi oder Wasser; ich in der Sorge, dass niemand was mitkriegen würde von Thomas’ Schweinereien. Die Familie neben uns ging, eine Mutter mit Tochter nahm Platz, beide so rund, dass sie die vier freigewordenen Plätze voll besetzten. Die Welt ungerecht, und das Wochenende eh gelaufen.

Es war erstaunlich leer draußen, heute am zweiten Festtag, und Thomas hatte mich überredet, noch mit in den Schottenhamel zu kommen, weil ja eine Wiesnmaß draußen keine echte ist, und wenn’s leicht ist, reinzukommen, warum nicht. Es war leicht, gar kein Problem, obwohl die Jahrhundertwiesn schon heute Morgen ausgerufen wurde, nach dem ersten Tag, was eigentlich heißen müsste, dass es viel zu voll ist – und wir gehen rein. Angst, unter Tausenden die einzige Spaßbremse zu sein, weil alle schon auf den Bänken stehn und eben eine Maß lang nicht reicht, um so mit dabei zu sein, eins zu sein mit Allem, den Anderen, dem Neon, dem Bier, dem blauen Dekotüll, der den Himmel mimt und diesen für alle bedeutet, außer für mich, den Hymnen, grad läuft Sierra Madre und zwanzigtausend singen, mit der ganzen Geräuschkulisse. Drinnen ist es doch recht voll und Thomas hat die Führung übernommen, wir brauchen Platz an einem Tisch, um Bier zu bestellen, um reinzukommen, um eins zu werden. Ich bin völlig überfordert. Thomas’ Regie erwählt uns einen strategischen Platz, ein Pärchen, um die zwanzig mit einer hübschen Freundin, gleiches Alter, daneben aber drei Jungs Mitte zwanzig in schnellen T-Shirts, die für mich wie Australier aussehen, sich als Neuseeländer entpuppen. Solche sind in der Balz kompromisslos, weiß ich. Neben der Hübschen, sie trägt ein die Oberweite zu stark betonendes Dirndl, bestell ich mein Bier, auf dem Boden stehend natürlich. Thomas ist längst auf der Bank, schunkelt mit den anderen der Klimax von Sierra Madre entgegen. Sierra Madre tu. Ich Spaßbremse durch und durch, denke ernsthaft daran, ob die Übersetzung von Sierra Madre tatsächlich ‚Wüste Mutter du’ heißen kann, was dass denn für eine Sprache sein soll oder für ein Sinn ergeben und dass ich hier schnell weg muss oder viel Bier trinken. Bevor wir überhaupt unsere Namen ausgetauscht haben ist die Bestellung da, Thomas will auch gleich weiter, und das Paar, das keines ist und die Schöne ziehen mit uns. Ich bin auch damit überfordert.

Schon stehen wir auf der nächsten Bank zwei Gänge weiter, mit Gregor und zweimal Chantal, ernsthaft, das Dirndl Chantal findet ihren Namen nuttig. Finde ich auch ein wenig, mein ich, und frag sie nach Chantal Ackermann und wir prosten und sie ist laut und hat Haare auf den Zähnen. Die anderen tanzen und grölen, wir reden, das Bier fließt und sie wird gern unterschätzt, sagt sie, weil sie dann noch Reserve habe, die Krüge knallen und ich find die Kleine mit ihren gut zwanzig Jahren und ihrem Realismus lustig und nehme vorsichtig die Bremse raus und wir haben Spaß und lachen und schreien uns in die Ohren weil es so laut ist. Jura studiert sie, was sie fantasielos findet, aber sie ist Jahrgangsbeste und sie ist gerne blond. Wir tanzen, schunkeln jetzt mit, Arm um die Taille, und sie hat einen knallharten Blick, weicht mir nicht aus und nimmt meine Hände und dann singen wir alle zusammen ‚Skifoan’ obwohl das kein Heimatfilm ist, sondern die Wiesn, wo eine Maß zehn Euro kostet, wenn man nicht spießig sein will, und danach läuft noch mal Sierra Madre und ich denke jetzt gar nicht über den Text nach sondern ich bin und sonne mich in dem schönen Ausgang des Wochenendes und der lebendigen Ausstrahlung meiner Tischnachbarin.

Warum muss alles ein Ende haben, warum soll man aufhören, wenn es am Schönsten ist, ich hab das nie verstanden, aber die Musik spielt nicht mehr, weil es nach zehn ist. Also gehen wir in den Käfer, denn der hat kein einfaches Wiesenzelt, weil die Welt ungerecht ist, nur heute mal zu meinem Vorteil. Ich soll sie tragen, Huckepack, spüre die nackte Haut ihres zu tiefen Dekoltees im Nacken, wenn sie sich mit ihrem Kinn an meiner Schulter festschnallt, spüre die weiche Brust, als sie höher rutscht, die Arme um mich geschlungen, - diese jungen Hunde - und ich beginne, mir Chancen auszurechnen, obwohl ich nicht rechnen will, habe aber keine Kraft, gegen die Natur. Sierra Madre tu. Im Käfer geb ich was zu essen aus, sie und ihre Freunde haben kein Geld mehr. Wir sind jetzt schon sieben, dann neun, Freunde von Thomas stoßen dazu. Mir gegenüber sitzt sie und will gewärmt werden, laut ist sie und selbstbewusst und lauter Leute um sie rum, die um einiges älter sind, als sie. Haare auf den Zähnen hat sie, behauptet ihr Vater und mich streckt diese Art nieder, nicht wirklich, nein, aber sie fesselt mich. Der Vater ist zehn Jahre älter als ich, und sie arbeitet neben dem Studium eine Dreitagewoche als Hostess. Neues Bier, langsam wird es zuviel. Ich will fahren, mit ihr natürlich, ihre Freunde kommen mit, Taxi in die Maxvorstadt, ich zahle, Hand in Hand im Taxi und ein wenig nüchterner und irgendwie befremdet von ihr, von mir, von den anderen, davon, ihre Hand in der meinen zu halten. Sie ist fast meine Nachbarin, keine drei Straßen entfernt wohnt sie und dort hält das Taxi auch. Kuss rechts links und ich stehe allein da. Der letzte Satz zu ihren Freunden, dass es doch cool war, kein Geld mit auf die Wiesn zu nehmen, bleibt mir im Hals stecken. Tief im Hals stecken. Ich geh nach Hause ins Bett, dort liegt meine Frau Barbara, unser Kind nebenan, träume eine Variation auf Chantals letzte Worte und wache mit Kater und irgendwie aggressiv auf.

Der nächste Tag. Stunden vergehen. Ich hab ihr meine Karte gegeben, das ist peinlich, aber zu schreiben war nichts da, und hoffe auf eine Reaktion von ihr. Die kommt dann auch, spätnachmittags, mein Tagwerk eigentlich schon getan, das Gör steht in meiner Fantasie gerade auf, gähnt in ihre kleine, schmutzige WG-Küche hinein, Kaffee und Zigarette. Ich kenn das ja alles, lang ist es her, und versuche mich zu überprüfen: ob ich meine Würde verliere, wenn ich mich nach ihr sehne? Kein Ergebnis. Es ist die Aussicht auf das Stück Abenteuer, dass mir im Moment fehlt, wie all denen, die mein Alter haben und Frau und Kinder oder keine und zuviel Arbeit. Es ist das Stück vom Leben, das ich ja auch kenne, das einen Energie kostet aber die Welt gewinnen lässt, der Amplitudenausschlag, ein Gipfel. Mal wieder emotional ganz oben sein. Und aus zurückliegender Erfahrung weiß ich, dass sich daran die lange Fahrt in ein ewiges schwarzes Tal anschließen kann. Aber: die emotionale Hausse, also dieses Gefühl bleibt ungeschlagen.
Tage vergehen, wie ein Fünfzehnjähriger lerne ich über die Zeit, schnell Kurzmitteilungen übers Handy zu tippen, hintergründig, doppeldeutig, witzig. Sie ist kurz und unverbindlich. Und die Parallele zu Humbert Humbert und Lolita – der Originalfilm lief ein paar Wochen vorher auf arte – bezeugen einen  bestimmten, verwirrten Zustand. Was denn! Gute fünfzehn Jahre Altersunterschied; trotzdem hab ich mich um sechs Jahre jünger gemacht. Zu einem Treffen krieg ich sie nicht, auch wenn sie in ihrer ersten SMS einen Wein zu zweit vorgeschlagen hat.

Der Dienstag der folgenden Woche ist für den Wiesnausflug mit den Fußballern reserviert. Spät stoss’ ich zu unserer Mannschaft, halb acht ist es schon, und ich weiß, dass sie auch im Zelt ist. Sie schickt mir ihre Koordinaten, aber ich lass das erst Mal. Ich steh mit meinen Freunden zusammen am Gang, wir haben keinen eigenen Platz, und es ist lustig. Einer besorgt konsequent Bier. Schnell ist diese Bierzelt-Spaßbremsen-Angst überwunden. Ein Prosit der Gemütlichkeit. Es ist voll, aber nicht zu voll, alle Viertelstunde müssen wir die Gangseite wechseln, weil ein übereifriger Sicherheitsmann eine Aufgabe sucht. Gegen neun dann bin ich doch so neugierig, dass ich vorbeischaue, will das Gör sehen, ob sie mir auf den zweiten Blick noch immer gefallen würde. Ich finde sie auf Anhieb, sie ist laut wie beim ersten Mal und konzentriert sich auf mich wie auf eine neue Liebe – ist wie ein neues Leben, bam bam bam, nananananana. Das wundert mich, weil sie sich nicht so verhalten hat, vorher, aber ich nehm’ es eitel froh hin – bleibe nicht lang, weil keine in ihrer Runde über dreiundzwanzig ist und ich nicht weiß, was ich da weiter soll und mir einbilde, auf meiner Stirn würde ‚alter, geiler Sack’ stehen. Wir verabreden, dass wir zusammen gehen und ich frage mich, was da noch auf mich zukommt, heute. Keine halbe Stunde später steht sie bei uns, mit einmeterachtzig Größe. Frech und selbstüberzeugt hat sie die Jungs um mich gleich im Griff – und die schaun blöde. Nachdem die Musik fertiggespielt hat und allgemeine Aufbruchstimmung herrscht, zieht sie mich im Gedränge mit zu ihrer Basis. Und kurz später finde ich mich zwischen ihr und Anna, einer schönen Brünetten mit Lippenbändchenpiercing, in einem Taxi auf dem Weg zum ‚Sorgenbrecher’, einer Boazn in der Augustenstraße bei ihr ums Eck.
Telefonisch hat sie ihre Mitbewohnerin und deren Freund aus der Wohnung nach unten bestellt, die sitzen schon da, Hannes und Ina, auch eine Augenweide und ich male Luftschlösser exzessiver Abende und Nächte der Zukunft in die rauch- und dunstgeschwängerte Luft des ‘Sorgenbrecher’.

Sie will’s wissen, will aber, dass ihre Freunde nichts wissen. Da zieht sie mich ums Eck zur Küche, zum Zigarettenautomaten und knutscht mich einfach nieder. Sie! Trotzdem hat sie soweit gedacht, dass sie, wieder ums Eck zurück, eine neue Zigarettenschachtel präsentieren kann, quasi ein Alibi gegen die grad vollzogene Tat.
Das ‘Sorgenbrecher’ ist ihre Welt. Sie kennt die Wirtin und deren Vierzig-Quadratmeter-Reich. Wenn sie bislang eine Trophäe gewesen wäre, eine die spannend ist und eigen, und eigenartig und nicht ganz leicht, eine die man quietschen lassen will, irgendwie derb und geil und eben nicht zu doof. Wenn sie bislang eine Trophäe gewesen wäre, jetzt wird sie mehr. Nicht das Leben, nein. Aber mehr als nur heut Abend.
Wir setzen uns mit den anderen ins Hinterzimmer – kein Zimmer wirklich, eine kleine Plattform leicht abseits erhöht, durch zwei große Rundbogendurchbrüche vom Hauptraum getrennt. Ein Tisch mit zwei Bänken und ein paar Stühlen, bayrisch rustikal, hinter dem im U an der Wand angelegten Tresen, der für Helga und ein bisschen Schunkeln Platz hat, und für tausend echte Sprüche aus dem wirklichen Leben. An der Wand hier oben die verschiedensten Zeitungsartikel, die Helgas Originalität bestätigen, über dem Tisch eine Boaznleuchte, gedimmt, unten, um den Tresen stehend, sechs oder sieben Stammgäste, dicht bis zum Anschlag, mit Stilaugen. Chantal nimmt die DIN-A4-Kopie von Helgas Selbstdarstellung, auf rosafarbenes Papier gedruckt: Helga liegend mit angezogenen Beinen, fast nackt, Rückenansicht. Ein nichts von einem Slip legt sich über die dem Fotograf dargebotenen Scham. In der Auflösung der Grautöne durch die Kopie hat das Bild etwas besonders Ordinäres. Helga ist Mitte fünfzig. Darunter gesetzt markige Sprüche wie der mit der Arbeit, dem Hund, der Sau und dem Kamel. Wie ich das finde, will Chantal wissen.

Die spinnt wohl. Mit dreiundzwanzig, oder einundzwanzig oder was weiß ich. Grad mal volljährig jedenfalls. Kein Idee Poesie, aber schon gar nicht, bei dieser Frau, die ich sonst immer gesucht habe, korrigiere, gefunden. Aber spannend. Und sexy. Nicht die Erotik des Kindchenschemas. Der Sex einer Frau. Die spielt das Spiel unverblümt, direkt. Ich sollte besser gehen. Das macht mein Leben nicht einfacher. Aber nein. Ich will jetzt nicht den Schwanz einziehen. Ganz im Gegenteil.
Sie erzählt mir irgendetwas von einem Freund und ihrer Angst letzte Woche, mich zu treffen, als sie mit ihm zusammen unterwegs war. Weil sie ja so unehrlich war. Ich erzähle ein wenig von meiner Beziehung. Ihrer ist jetzt beim Surfen und sie hat zwei Wochen Zeit zu spüren, was das ist mit uns. Das ist ja ein bisschen viel, denk ich mir, langsam langsam. Jedenfalls schöner, als nur der Geldgeber für ein paar Maß für die Freunde zu sein. Sie skizziert unsere Zukunft: Verhältnis über das nächste Jahr, dann Trennung vom Partner, Beziehung. Dass sie völlig verwirrt war, jemanden auf der Wiesn zu treffen, mit dem sie nur redet. (Kannst auch Anderes haben, denk ich mir). Dass wir gleich denken würden. Das Gör bringt mich durcheinander und wird das auch mit meinem Leben machen, mit ihrem Direktsein, ihrer Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit – ihrem Körper. Ja, diese Juristentusse macht mich fertig. Ich habe genug getrunken, dass es mir egal ist. Ich weiß, dass ich sie heut Nacht bei mir haben will.
Freundin Ina verlässt den Tisch mit ihrem Hannes (der den letzten Hannes vor sechs Wochen abgelöst hat, soviel hab ich von den beiden mitgekriegt. Irgendwie ist die Dopplung in ihrer Aura ein höheres Prinzip, scheint es). Anna meint, dass das Knutschen mit dem Typ auf der Wiesn Spaß gemacht hat. Das ist nicht mein Spiel. Ich weiß, dass ich ganz woanders bin. Thomas ruft an, wo ich bin, eine Viertelstunde später sitzt er neben Anna, ist mit den Mädchen Gulaschsuppe, lässt die Finger von Anna nicht. Chantal hält meine Hand unter dem Tisch fest gedrückt. Ihr klares, scharf geschnittenes Gesicht, große, tiefblaue Augen, hellblondes schulterlanges Haar im Dunst aus Rauch und Frittenfett des ‚Sorgenbrechers’. Sie ist schlank, knackig. Ein wenig Überbiss, große, weiß blitzende Zähne. Wie bei der Wolf und die sieben Geißlein – nur dass sie zuviel vom Wolf hat und ich zuviel vom Gretchen. Und die Geißlein? Wurscht. Natürlich muss ich die haben. Anna ist nach oben in Chantals Wohnung. Thomas war ihr zuviel. Er nimmt ein Taxi, Chantal und ich knutschen, bis wir plötzlich in ihrer Wohnung sind. Sie zeigt mir die Küche, das Bad, ihr Zimmer, ist stolz. Anna liegt quer in ihrem Bett, schaut schläfrig nach oben, Blut pocht durch meine Schläfen. Okay? Okay!
Wir setzen uns in die schlauchartige Küche, Couch unterm Fenster am Kopfende. Sie hat sich umgezogen, Sportoutfit, nur das Beste, DK oder CK oder sonst was Teures, Juristenzicke. Ich einfach nur staunend und besoffen.
Das Fummel-Kampfoutfit sitzt gut und locker und ich knutsche stundenlang und fummle und umarme und knutsche und als ich um vier gehe, kenne ich fast jeden Zentimeter an ihr, habe nicht mit ihr geschlafen, ‚aber morgen schlafen wir miteinander’ haucht sie mir ins Ohr, bei wem könnte der Spruch nicht funktionieren. Gut, denke ich, ich mach mit, bin dabei. Und ich bin glücklich, den Weg die paar Meter zu mir, und aufgeregt und weiß, dass ich sie anderntags sehen muss.

Abends warte ich auf einen Anruf von ihr, wie abgemacht, wir wollen uns im ‚Sorgenbrecher’ noch mal kurz treffen. Wie ich diesen Nachtspaziergang meiner Frau erklären soll, weiß ich nicht. Um halb elf hat sie noch immer nicht angerufen. Ich mach das Handy aus. Irgendwann schlafe ich ein. Und fliege am nächsten Morgen mit meiner Familie in den Urlaub. In Paris bekomme ich noch mal eine SMS von ihr – Handyakku war leer. Daß sie mich schon sehen möchte, aber nicht den Freund betrügen.

Zwei Wochen später treff’ ich sie, Montag Abend. Zwei Tage bin ich schon da und hab das Ganze irgendwie zu verdrängen versucht, abzutun als Eitelkeit – und ich sage nicht, dass es keine wäre – und gehofft, dass sie sich aus Neugier meldet, mich mal zu erreichen versucht. Sie ist eine Zicke, ein Frau die rosa trägt, weil man rosa trägt, und Fransen an den Schuhen, da bin ich mir sicher – und ich will, dass sie sich meldet. Während meines Urlaubs hat sie das ein-zweimal gemacht, unverbindlich. Ich ruf sie an, vom Festnetz aus und weiß, dass da auf dem Handy ‚Unbekannter Teilnehmer’ steht. Sie drückt mich zweimal weg. Ich hasse dieses Gör. Keine Stunde später probier ich’s mit dem Handy, weiß, dass sie meine Nummer erkennen wird und will mit ihr sprechen, sie sehen, keine Kurzmitteilungen, will spüren, was das war – oder ist. Sechsmal lass ich es klingeln, dann leg ich auf. Zwei Sekunden später bekomme ich ihre SMS (Meeting – melde mich). Schmetterlinge fliegen, die Innenwände meines Büros bekommen einen rosa Stich, ich höre den süßen Klang gezupfter Geigen – wo bin ich?! Was ist mit mir los? Ich weiß, dass sie mich einprogrammiert hat und stelle mir vor, wie beim Klingeln mein Name auf ihrem Display erscheint, ihr eine Wallung Blut in den Kopf schießt, wie sie rot wird. Sie meldet sich und entscheidet sich später für ein Treffen. Um halb acht an einer Straßenecke lässt sie mich ein wenig warten, kommt, Kuss rechts und links und wir gehen ins nächstliegende Lokal. Der Ort ist egal, es ist dunkel genug, Kerzenlicht, um die gelogenen sechs Jahre weiter glaubhaft sein zu lassen. Wir sind ja beide nüchtern.

Sie ist sehr nervös, zieht eine Packung Zigaretten aus ihrer Tasche, zündet sich eine an, dann schon die nächste. Zwei Zigaretten brennen, das ist ihr unangenehm. Sie springt von Thema zu Thema, zu schnell, wie um keine Lücken entstehen zulassen, Pausen, die einvernehmlich sein können, wenn man miteinander entspannt ist. Ihre Nervosität beruhigt mich. Allgemeines beherrscht das Gespräch, sporadisch mein Urlaub, hauptsächlich ihre Haltung zu diesem und jenem. Es geht fast ausschließlich um sie. Aber das ist gut so. Ich versuche, sie kennen zu lernen. Habe einen Auftrag vor mir selbst, will mir bestätigen, was ich nicht wirklich glaube: eine Zicke, juristenschick. Sie trägt einen rosa Pulli, gute Wolle, gerafft an den Schultern (würde ein Veto bekommen), einen kurzen Rock, weiss, aber nicht zu kurz, Fransen an Wildleder-Stiefletten und den obligaten rosa Stoffgürtel, den Zwanzigjährige zur Zeit tragen, weil sie drallprollige Susi spielen. Kurz komm ich auf die Idee, dass genau das mir fehlen könnte – ich meine, in meinem echten Leben. Aber nein. Das geht eigentlich gar nicht, solcher Stil hievt auf ein Niveau von Elektronik-Großmärkten und deren Vertriebsphilosophie. Der momentane Trend halt. Aber ist sie nicht angepasst!
Sie erzählt viel von Australien, da war sie über ein Jahr, und um wie viel besser dieses Land wäre. Das Wetter, die Leute, sie findet tausend Allgemeinplätze und projiziert nur das Problem ihrer Oberflächlichkeit auf ihre Umgebung. Ich stell mich dagegen, weil die Überall-ist-es-besser-als.hier-Leute, die fress’ ich ja. Ich gehör hier dazu und dieses Land und diese Stadt sind ein Stück von mir und das nehm’ ich persönlich. Sie beginnt, ihre Position zurückzunehmen, inwiefern das echt gemeint ist oder der Harmonie dieses Treffens dient, weiß ich nicht. Aber sie spürt die Opposition deutlich - ich verwandle mich jetzt nicht in einen Jasager, um ihre Brüste noch mal berühren zu dürfen.
Kann ich mich in dieses Gesicht verlieben? Ihre bestechend schönen Augen, das Weizenblond der Haare. Die Brüste wirken schon wieder so groß, immer diese Tricks und Betrügereien, wahrscheinlich wattierter BH oder was, dieses ewige Spiel bei dem ich fast schon raus war, dessen Spielregeln ich nie verstanden habe. Ich hatte die Dinger in der Hand, so groß waren die nicht, da kann ich noch so betrunken sein.
Wir habe das Thema gewechselt, berühren uns hier und da und ich frage mich, ob wir uns wohl zum Abschied küssen werden. Kurzmitteilungen und Anrufe auf ihrem Handy unterbrechen uns immer wieder, und sie ist nicht kurz angebunden, aber ich habe das Gefühl, sie langsam wieder zu gewinnen. Viel hat sie von ihrem Freund erzählt, davon, dass sie unseren Zwischenfall berichtet, dass sie sich damit für die Ehrlichkeit und gegen mich entschieden hat. Ich spreche für das Organische und für den Mut, das Leben zuzulassen, Neues auszuprobieren, werde durchaus auch peinlich, wenn ich in Aussicht stelle, dass wilde Nächte in schönen Hotelzimmern ein Teil des Lebens neben einem Partner sein können. Und bin so ehrlich, daß die Geschichte, die gelebte Zeit mit meiner Frau und den Erlebnissen, schönen wie schlimmen, so wertvoll ist, dass der Schritt für mich fast unvorstellbar ist.

Es ist schon elf durch und ich zahle. Sie versucht auch, zu zahlen und meint flüsternd, dass sie nicht will, dass ich das Gefühl bekomme, sie auszuhalten. Ich gebe peinlicherweise zuviel Trinkgeld, woraufhin wir noch Einen aufs Haus bekommen. Eine Umarmung vor der Tür, Sie bedankt sich für den schönen Abend und das klingt ehrlich. Küsschen obwohl ich einen Kuss will, wir trennen uns.
Und ich weiß, dass ich diese Trophäe besitzen muss. Und den Menschen. Und die Angst vor ihr verlieren. Und wilde Nächte. Und sie kennen lernen. Und ich will, dass sie sich nach mir sehnt. Und ich weiß, dass sie nichts fürs Leben ist. Und ich riskiere trotzdem mein bisheriges. Und das, weil ich spüren will, dass ich lebe.

Getroffen haben wir uns nicht mehr. Ich hab es probiert, aber sie wollt halt nicht mehr.