Christian Putz - Weihnachtswunderpunsch
Man sollte es nicht für möglich halten, wie viel Geld man beim Sportwetten verlieren kann.
"Wenn man sich auskennt, kann man da viel Geld machen!" hatte der Ritschi vor ein paar Wochen noch gesagt. "Du wirst schon noch sehen, Mausi, mit dem Geld, was ich gewinne, werden wir die heurigen Weihnachten auf den Seychellen verbringen, und am Heiligen Abend werden wir am Strand liegen, ich mit einer silbernen Badehose, auf der nackerte Weihnachtsengerl drauf sind, und du mit einem goldenen Bikini mit roten Weihnachtsmännern!".
Ritschis System war eigentlich deppensicher, das hatte ihm auch der Charly bestätigt, der ihm das Wettsystem übrigens verkauft hat. Deshalb hatte der Ritschi erst seine Arbeitslose, dann auch sein bisschen Erspartes und schließlich das bisschen Ersparte von der Mausi investiert, weil das System einen mindestens 700-prozentigen Gewinn versprach. 700 Prozent! Mindestens! Und noch dazu steuerfrei! Der Charly hatte ihm das ganz genau vorgerechnet. "Du investierst 1000 Euro" hatte er gesagt, "und kriegst 7000 zurück!".
"Aber das System wirft natürlich nicht gleich Gewinn ab, sonst würde es ja jeder machen", hatte der Charly gesagt, wichtig sei, dass man durchhält und einen längeren Atem hat als die anderen. Denn würde man gleich zu Beginn 700 Prozent Gewinn machen, dann könnte sich das Wetten ja gar nicht rechnen, das leuchtete dem Ritschi ein: Bei einer wirklich seriösen Sache kann nicht jeder gleich 700 Prozent Gewinn machen, weil irgend jemand muss die Deppensteuer ja zahlen.
Leider war die Sache so seriös, dass der Atem vom Ritschi nicht lang genug war, nach ein paar Wochen ging ihm also schon das Geld aus, das war so Mitte November. Da der Charly aber ein guter Freund war und die Mausi bei ihm vorgesprochen hatte, steckte er ihm noch vierhundert Euro und einen guten Rat zu, bevor er mit seiner neuen Freundin auf die Seychellen flog. "Ich glaub, dir fehlt einfach das Spieler-Gen", sagte er, "du solltest es mit guter, alter, ehrlicher Arbeit probieren und am besten mit einer, die wirklich was einbringt. Die Zeit könnte nicht idealer sein. Kauf dir eine Lizenz für eine Punschhütte, lass die Mausi und ihre Schwester ausschenken, und du wirst sehen, Silvester feierst du dann mit mir auf den Seychellen!". Er gab ihm auch noch die Telefonnummer von einem Freund, der allerhand Zutaten günstig liefern konnte.
Schon am nächsten Tag ging der Ritschi zum Magistrat um eine Lizenz zu erwerben. Das war gar nicht so schwierig, denn der Charly hatte den Beamten tags zuvor kontaktiert, und der Ritschi wurde schon mit "Grüß Sie, Herr Kaiser!" empfangen. Der zugewiesene Standort war zwar etwas abgelegen in der Seitengasse einer Seitengasse der Einkaufsstraße, aber insgesamt war Ritschi froher Dinge. "Wenn der Standort schon nicht so berauschend ist, dann muss es zumindest der Punsch sein", sagte er zur Mausi, und die stimmte ihm zu.
Charlys Freund lieferte ein paar Holzwände, aus denen Ritschi eine Hütte zusammenbastelte, er lieferte eine Art Punsch-Sirup, zig Flaschen Rum verschiedener Marken von 38 bis 80 Prozent und ein paar andere Alkoholika, die dem Punsch gewiss eine besondere Note verleihen würden - das alles bekam Ritschi zu sensationell günstigen Preisen. Den Schriftzug "LIONS-Club", der auf den Holzwänden prangte, übermalten sie kurzerhand. "Sonst kommen nur die feinen Pinkel", sagte Charlys Freund und drückte ihm eine Schachtel mit Weihnachtsdekoration in die Hand.
Aber auch Ritschi selbst verfügte über gute Kontakte: Einer seiner Freunde arbeitete in einem Großlager und konnte ihm fast gratis vierzig Kilo Vollrohrzucker aus Mauritius zur Verfügung stellen, der ein paar Jahre zuvor am 28. 8. abgelaufen war, aber immer noch nach Vollrohrzucker schmeckte, davon überzeugte sich Ritschi höchstpersönlich. Noch günstiger bekam er ebenfalls abgelaufenen aber 100-prozentigen Orangensaft mit echten Fruchstückchen - oder was immer das war. Doch Ritschi hatte Visionen. Er wollte seinen Kunden mehr bieten als in herkömmlichen Punschständen und deshalb kaufte er zwei Kilo Blutorangen, die die Mausi gekonnt dekorativ in der Hütte verteilen sollte. "Wegen der Psychologie", sagte Ritschi. "Weil man trinkt ja auch mit den Augen!"
Auch den Wein, den er für die Zubereitung von Punsch brauchte, musste er im Supermarkt kaufen. Nun, nach dem mauretanischen Vollrohrzucker und dem 100-prozentigen Orangensaft mit Fruchtstückchen wollte er sich auch hier nicht lumpen lassen, er entschied sich deshalb für einen Cuvee verschiedener Qualitätstafelweine aus den besten Weinregionen Spaniens, Portugals und Italiens, der praktischerweise auch gleich im Tetrapack verkauft wurde, das erleichterte den Transport immens. Außerdem entdeckte er "weihnachtliche Qualitätspfefferkuchen" aus dem Ruhrgebiet, die im Zwei-Kilo-Säckchen zu je € 1,20 verkauft wurden und, das versprach zumindest die Verpackung, den Gaumen "weihnachtlich verwöhnen" würden. Als besondere Serviceleistung wollte er diese Kekse seinen Kunden gratis zur Verfügung stellen.
Er legte auch ein paar Bouteillen Blaufränkisch eines renommierten mittelburgenländischen Winzers in den Einkaufswagen. Diesen Wein trank er am Abend zwei Tage vor der Eröffnung der Punschhütte mit der Mausi, ihrer Schwester und seinen Lieferanten. Bei diesem Meeting veranstalteten sie ein Brainstorming zum Thema: Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, muss man seinen Verkaufsstand entweder auf einem stark frequentierten Platz haben oder eben - wie im vorliegenden Fall - die Kunden zu seinem Verkaufsstand bringen. Und sie hatten eine sensationelle Idee: Sie entwarfen Flugblätter, auf denen die Mausi und ihre Schwester in hautengen Engelskostümen und mit tiefem Dekolletee zu sehen waren. Darunter stand: "Dein Wunsch - ist unser Punsch" und "Dein Punsch ist uns Befehl. Die zwei Weihnachts(b)engerl freuen sich auf deinen Besuch!". Und natürlich erfuhren die potentiellen Kunden auch, wie sie zur Hütte finden konnten.
Am nächsten Morgen - dem letzten vor der Eröffnung des Standes - versuchten der Ritschi, die Mausi und ihre Schwester nach einem Rezept aus dem Internet drei Liter Weihnachtspunsch herzustellen und verteilten ihn gratis an die Nachbarn rechter Hand und an Charlys Freund, der gerade den Elektrokocher vorbei brachte. Geschmacklich konnte das Ergebnis auf voller Länge überzeugen: stark aber süffig, dafür süß aber nicht pickig. Doch bald entfaltete der Punsch seine wahre Wirkung: Er stieg in den Schädel und rumorte dort, dass sie glaubten, ihre Schädelknochen müssten zerspringen. Das war nun wirklich ein gravierendes Problem, so konnte man keine Stammkunden gewinnen und hatte auch noch eine schlechte Nachred. Dieser Punsch und Ritchis Berufsethos gingen einfach nicht zusammen.
Glücklicherweise hatte Charlys Freund einen Bekannten, der - aus welchen Gründen auch immer - kiloweise abgelaufenes Aspirin C-Brausepulver zu Hause liegen hatte. Das wurde kurzerhand dem Punsch beigemengt und beugte nun nicht nur etwaigem Kopfweh vor, sondern verfeinerte den Geschmack zusätzlich noch. Dieser Punsch nach verbesserter Rezeptur wurde in Häferl gefüllt und den Nachbarn linker Hand gebracht, und als diese sich eine Stunde später erkundigten, ob sie freundlicher Weise noch einen Punsch bekommen könnten, meldete die Mausi stolz: "Problem gelöst - Punsch einwandfrei!". Dann konnte sie mit ihrer Schwester beruhigt ins Bräunungsstudio gehen, sie wollten sich am nächsten Tag ja von ihrer Schokoladenseite zeigen.
Schließlich war der große Tag gekommen: der erste Adventsamstag. In einem riesigen Topf wurde der Weihnachtspunsch zubereitet, aus spanisch-portugiesisch-italienischem Qualitätstafelcuvee, mauretanischem Vollrohrzucker, aus 100-prozentigem Orangensaft mit Fruchtstückchen - oder was immer das war - aus einer Art Punsch-Sirup, aus 38- bis 80-prozentigem Rum, aus diversen anderen Alkoholika und aus Aspirin C-Brausepulver. Ein wunderbarer Duft breitete sich aus, zuerst im Punschstand selbst, dann in der gesamten Seitengasse der Seitengasse der Einkaufsstraße.
Ganz Marketingexperte stellte Ritschi fünf der leeren Blaufränkisch-Bouteillen vom renommierten Winzer aus dem Mittelburgenland hinter die Hütte, die restlichen vier befüllte er mit dem Qualitätstafelcuvee aus Spanien, Portugal und Italien. Aus diesen neu befüllten Flaschen musste die Mausi immer wieder in den riesigen Topf nachschenken. "Wegen der Psychologie!", sagte er. Ebenfalls wegen der Psychologie hatte Ritschi ein Schild angebracht, auf dem zu lesen war: Sie unterstützen österreichische (das war fett geschrieben) Notleidende! Und darunter stand: Mit jedem Schluck - schenken Sie einem Notleidenden Glück!
Inzwischen hatten sich Charlys Freund, sein Aspirin C-Bekannter und zwei weitere Bekannte bei der Hütte eingefunden, denn wo Tauben sind, fliegen Tauben zu, und wo ein paar Leute etwas konsumieren, wollen auch andere etwas haben. Die Mausi und ihre Schwester trugen ihre hautengen Weihnachts(b)engerlkostüme, Ritschi hingegen verkleidete sich als Weihnachtsmann und ging in die Einkaufsstraße, wo er die Flugblätter verteilte. Und tatsächlich, all die Anstrengungen hatten sich ausgezahlt: Die vornehmlich männlichen Kunden kamen, das Geschäft lief gut, und schon am ersten Tag streiften sie einen satten Gewinn ein.
Am dritten Tag hatte die Schwester von der Mausi eine weitere gute Idee: Sie besorgte vom Postamt Unicef-Weihnachtskarten, die sie in der Hütte unterhalb eines herzförmigen Schildchens mit der Aufschrift "Ein Herz für Kinder" auflegte und mit einem kleinen Preisaufschlag an die weihnachtlich gestimmten Kunden weiter verkaufte.
Nach der ersten äußerst erfolgreichen Woche entschieden sie sich, gleich daneben einen weiteren Punschstand zu eröffnen, um die Flut an Kunden bewältigen zu können. Charlys Freund lieferte wieder alles Nötige und zwei von Mausis Aerobic-Kolleginnen schenkten als Weihnachts(b)engerl aus. Mittlerweile hatten sie zwar den abgelaufenen Vollrohrzucker, den abgelaufenen Orangensaft und die abgelaufenen Aspirin C-Brausetabletten längst aufgebraucht und durch nicht abgelaufene Produkte ersetzt, aber glücklicherweise tat das dem guten Geschmack keinen Abbruch.
Ritschi träumte nun schon von einem völlig neuen Geschäftskonzept: An jedem Adventsamstag sollte jeweils ein neuer Punschstand eröffnet werden, wobei die Punschstände im Kreis angeordnet sein sollten, mit einem Kranz aus Fichtenzweigen dazwischen, sodass der Eindruck entsteht, es handelte sich um einen riesigen Adventkranz mit den Punschhütten als Kerzen darinnen. Aber die Mausi redete ihm diese Idee wieder aus, so etwas müsste man sorgfältiger vorbereiten, sagte sie, so etwas wäre eine Sache für das nächste Jahr.
Am 8. Dezember kam ein Reporter von News, der ein Foto von der Mausi und ihrer Schwester beim Ausschenken machte, das allerdings nie veröffentlicht wurde, weil er nach der Konsumation von fünf Punsch sich plötzlich lautstark über seinen Redakteur ärgern musste, rabiat wurde und schließlich die Kamera zertrümmerte.
Ab dem dritten Adventsamstag gab es in den zwei Punschhütten zwischen 17 und 19 Uhr täglich Happy Hour, was vor allem die Stammkundschaft erfreute. Das Geschäft lief so gut, dass sie den Punsch am letzten Tag, dem 23. Dezember, überhaupt zum halben Preis verkauften und man bei drei konsumierten Punsch auch noch das Häferl dazu bekam. Bei fünf konsumierten Punsch gab es sogar ein Scherzkondom in Christbaumform. Gegen 21 Uhr knallten dann die Sektkorken, denn das Ende der Punschsaison wollte gebührlich gefeiert werden. Etwa eine Stunde später ließen Ritschi und sein Team die Balken zum letzten Mal herunter und gingen müde aber glücklich nach Hause.
Auf dem Heimweg wurde die Schwester von der Mausi noch sentimental und nahm sich vor, auch andere an ihrem wirtschaftlichen Erfolg teilhaben zu lassen: Gleich am nächsten Tag, dem Heiligen Abend, würde sie das Geld, das sie beim Verkauf der Unicef-Weihnachtskarten eingenommen hatten, an "Licht ins Dunkel" überweisen. Damit würde sie gleich zwei anerkannte Hilfsorganisationen unterstützen und dazu beigetragen, unsere Welt zu einer schöneren Welt zu machen.
Ritschi und Mausi hatten für den Heiligen Abend andere Pläne: Um nicht gleich alles eingenommene Geld zu verpulvern, verzichteten sie zwar auf den Flug auf die Seychellen, leisteten sich aber einen 3-Tages-Aufenthalt in einer burgenländischen Therme, wo sie bei 30 Grad Luft- und 28 Grad Wassertemperatur unter Plastikpalmen Sekt aus mitgebrachten 0,2-l Flaschen schlürften und sich glücklich in die Augen sahen. Der Ritschi trug dabei seine silberne Badehose mit nackten Weihnachtsengerln und die Mausi ihren goldenen Bikini mit roten Weihnachtsmännern. Das waren die schönsten Weihnachten, die Ritschi und Mausi je verbracht hatten.
Und natürlich schmiedete Ritschi auch schon neue Pläne: Jetzt hatte er endlich so viel Geld, dass er es beruhigt in Charlys Wettsystem investieren konnte und warten konnte, bis es die 700 % Gewinn abwerfen würde.
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