„Gut für eine Nacht“
Immer mehr Münchner Partyveranstalter pflegen die Ausgehkultur der Zweckentfremdung Wer feiern geht, ist auf der Suche. Das Noch-nie-Dagewesene will er finden. In kaum einer Branche ist der Kampf um das Neue so ausgeprägt wie im Discobusiness. Nirgends hängt einem Produkt so schnell der schale Geschmack des Vergangenen an. Beständigkeit ist in der Clubszene ein Unwort. Professionelle Partymacher wissen, der perfekte Abend ist wie ein One-Night-Stand: aufregend, kurzweilig und unwiederholbar.
Kein Wunder also, dass ein Off-Location-Fest die Königsdisziplin der Partyveranstalter ist. „Es geht darum, einen Ort zu finden, an dem noch niemand zuvor eine Party gemacht hat“, erklärt Stefan Schlossnagel, 24-jähriger Geschäftsführer der Party-Agentur „Die Nachtgestalter“. Die Firma, die unter dem Namen „Hidden“ schon Partys in Ateliers, ehemaligen Bankfilialen und Fliesenläden organisierte, ist das jüngste Nomaden-Projekt der Münchner-Szene.
Partys auf Baustellen, in Abrisshäusern und unter Brücken haftete schon immer der besondere Reiz des Provisorischen an – doch bisher waren sie rar und meist illegal. Inzwischen kümmert sich eine ganze Armada aus Party-Vagabunden um die Suche nach ausgefallenen Orten zum Abfeiern: Lunastrom, Rillenfieber, Simsalabim-Team, Richtig Wichtig, Sweet Seasons, G-Lounge und viele mehr. Veranstalter, die mit ihrer Mottonacht nur zwischen P1 und Parkcafé pendeln, sind in der Off-Location-Szene verpönt. „Die geben sich gar keine Mühe – und die Leute rennen Ihnen die Bude ein“, sagt Otger Holleschek.
Holleschek ist der Urvater der Münchner Off-Location-Feste. Der 37-Jährige begann vor 11 Jahren mit einem Fest in der Baugrube der neuen Messe seine Veranstalter-Karriere. Inzwischen gründete er das Unternehmen h+s veranstaltungen und beschäftigt mit seinem Kollegen Matthias Schlick elf Mitarbeiter.
Doch es ist nicht leicht, mit Off-Location-Parties Geld zu verdienen. Als Hobby nebenbei ist so eine Veranstaltung nicht zu meistern. Zu groß sind Zeit- und Geldaufwand. Ein Dreivierteljahr musste sich Holleschek um seine letzte Location bemühen, bis ihm die Gewölbekeller des Nationalmuseums offen standen. Knapp 18 000 Euro Auslagen investierte er.
Das Ergebnis war eine Party wie aus dem Off-Szenen-Lehrbuch: eine Melange aus Kunst, Kultur, Party und Gesellschaftsspiel. Unter dem Motto „Veitstanz“ suchten knapp 1000 Besucher, die jeweils eine Identität aus der bayerischen Geschichte zugewiesen bekamen, ihre Partner. So musste sich die Amigo-Gruppe auf die Suche nach Streibl, Tandler und Strauß machen, und Ludwig I. flehte um Lola Montez. Ein überzeugendes Konzept der Partys ist wichtig, da sonst viele Eigentümer nicht zustimmen, erklärt der Profi. Auch Marc Zimmermann veranstaltet gemeinsam mit einem Fotodesigner und einem Künstler unter dem Namen „Lunastrom“ dreimal im Jahr Partys in Bunkern und anderen ungewöhnlichen Räumen. Dabei ist ihm das Wichtigste, dass es Alternativen zum statischen Clubangebot gibt. Er meint, der besondere Reiz entstehe durch die anfängliche Orientierungslosigkeit. „Der Besucher muss sich erst zurechtfinden. Wo ist die Tanzfläche, welche Räume gibt es?“ Gleichzeitig werden die Gäste „mit verschiedenen Eindrücken überrollt“, wie es Zimmermann ausdrückt. Mit Videokunst, Performance und der Suche nach dem Dixi-Klo.Um keine Party-Location zu verpassen, arbeiten die findigen Kreativ-Profis mit Insolvenzverwaltern und Maklern zusammen: „Die wissen natürlich zuerst, was frei wird“, sagt Alexander Wulkow von den „Nachtgestaltern“ und ehemaliger Chefredakteur des Stadtmagazins Prinz. Ein großes Problem sind die Mietpreise. Die Räume sind selten unter einem vierstelligen Betrag zu bekommen.
„In München ist jeder Quadratmeter teuer, weil einfach jeder Raum genutzt wird“, klagt Zimmermann. Holleschek bestätigt das Problem: Vor acht Jahren konnte er das Foyer im Hauptzollamt für 500 Mark bekommen, heute müsse er 5000 Euro hinlegen. Für die Alte Messe zahle er 3000 Euro plus Nebenkosten, der Hof der Glyptothek koste 4000 Euro. Auch den fortschreitenden Mangel an alten Industriegebäuden bekommen die Partymacher zu spüren. Die Nachtgestalter schauen sich aus diesem Grunde bereits in anderen Städten um und feierten in einer Augsburger Kaserne und einer Schlachterei in Stuttgart. München wird auch seinem Ruf als Hauptstadt der Reglementierungen gerecht. So wissen alle Veranstalter, dass durch den Umzug der Stadtwerke zurzeit viele Räume leer stehen. Die Behörden in München seien aber so restriktiv, wie in keiner anderen Stadt, hadern die Veranstalter. Der Spießrutenlauf bei Behörden und Direktionen ist für Außenstehende kaum durchschaubar. So musste Holleschek für seine Party im Nationalmuseum zuerst die Zustimmung der Museumsleitung einholen. Danach fehlte ihm lange die Einwilligung des Hochbauamts, das die Liegenschaften des Staates verwaltet. Als das geklärt war, musste die Branddirektion bei einer Begehung die Party genehmigen. Dem Besuch der Branddirektion folgen meist teure Umbauten: beleuchtete Fluchtwege, Notausgänge, die nach außen geöffnet werden können, Fenster, die mit Wänden versperrt werden müssen, um nur einige Vorschriften zu nennen.
Es gibt Möglichkeiten, die Genehmigungsprozedur zu umgehen. So kann einer der Veranstalter den Raum offiziell für eine private Geburtstagsfeier mieten. Auf Flyer und Inserate muss dann zwar verzichtet werden, aber das widerspräche sowieso der Off-Ideologie. Wer einen E-Mail-Verteiler mit bis zu 10 000 Adressen hat, ist darauf nicht angewiesen. Doch die Gefahr, dass der One-Night-Club in einem Party-Interruptus endet ist dann ziemlich hoch. Wie jüngst bei einer Party in einem Teppichladen. Die Polizei beendete die Party abrupt vor dem Höhepunkt.