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Peter Rhein: Heut' Nacht oder nie 

Ich werde einen Text geschrieben haben. Einen Text zum Thema ‚Heut' Nacht oder nie'. Ich führe seit Jahren so etwas wie ein Tagebuch. Kein leinenbezogener Umschlag, in dem mit teurem Füller und schwarzer Tinte pathetische Worte zum Tag notiert werden, die einem schon Wochen später beim Durchlesen die Schamröte ins Gesicht treiben. Kleine Geschichten sind das, komplette Erzählungen, die tatsächlich passiert sind und mir helfen, diese Dinge nüchterner zu betrachten. Vielleicht sogar zu analysieren. Mindestens aber noch einmal alles zusammen zu tragen, was dazu gehört. Ich habe daher ein bisschen Übung.
Ich werde also einen Text geschrieben haben. Ich habe bisher noch nie etwas veröffentlicht. Daran habe ich kein Interesse. Ich lese gerne, ja. Aber mir fehlt die Eitelkeit, meine Gedanken vor einem Publikum vorgetragen zu wissen. Meine Gedanken sind nicht unbedingt spannend genug. Aber heute habe ich ein Ziel. Ich werde mich rächen.

Ich bin kein Frauentyp, kein guter Aufreißer. Ich bin kein Charmeur. Bin auch nicht besonders witzig. Erschwerend kommt dazu, dass ich nur durchschnittlich aussehe. Jedenfalls nicht so, wie man aussehen müsste, um bei Frauen Erfolg zu haben: Groß, markantes Gesicht mit breitem Kinn und vielsagendem  Blick. Ich habe ein vielschichtiges Verhältnis zu euch Frauen. Einerseits Begehren. Zum anderen hass ich euch, weil es so schwer ist, an euch ranzukommen.
Ich weiß, dass viele Frauen nach meinem Geschmack da sein werden, hab's ja gesehen, war letztes Mal schon da. Und ich weiß, was ihr hören wollt. Ich habe euch beobachtet. Ihr wollt Spaß und Sex und Liebe, pointiert mit ein wenig selbstironischer Ehrlichkeit und einem Hauch von wildem Abenteuer, deswegen seid ihr hier. Kein Pathos, nicht zuviel Ernst. Ihr wollt lachen können. Das kann ich. Ich werde euch den Stoff geben, dem ihr verfallen werdet. Macht euch bereit!

Mein Trick ist die Erzählperspektive. Ich gebe euch einen Ich-Erzähler. Jeder Zuhörer wird meine Hauptfigur mit mir identifizieren. Wir beide werden ununterscheidbar sein: Eine Person. Alles was über meine Hauptfigur gesagt wird, was sie macht, wer sie ist, alle Eigenschaften werden dadurch zu meinen Eigenschaften. Und somit charakterisiere ich in meinem Stück eine spannende Persönlichkeit, die die Zuhörer mit mir identifizieren werden. Falls ich dann auf die Bühne komme, weil ich den Preis erhalte, werdet ihr denken, ah, das ist der Typ, ja, aber so klein ist er doch gar nicht, durchschnittlich, genau. Aber hey, schreiben kann er nicht schlecht und schöne Gedanken hat er und lustig ist er.

Ich habe eine Viertelstunde lang die Möglichkeit, euch Frauen die Tiefe meiner Seele auszuschütten und ihr werdet zuhören. Die seltenen Male, die ich bisher eine von euch angesprochen habe, da habe ich keine dreißig Sekunden bekommen, um geistreich zu sein. Mach das Mal, in dreißig Sekunden! Sei mal lustig und unbeschwert in dreißig Sekunden, unter zeitlichem und emotionalen Druck! Und unter hormonellem vielleicht noch dazu! Das hat natürlich auch nie geklappt.
Jetzt hab ich eine Viertelstunde. Fünfzehn Minuten, in der mein von euch Frauen geschundenes Selbst das inszeniert, was zum Erfolg führen wird. Ich werde euch umgarnen mit süßen Versprechungen von der Liebe, wie ihr sie euch vorstellt, in euren blonden Spatzenhirnen. Vom Begehren für die Ewigkeit, von einer Leidenschaft, die füreinander bestimmt ist. Haha. Ich gebe euch den Don Juan, der euch die Lust in den Traum heißer Sommernächte holt, wenn ihr - im Schlaf - die Hand zwischen eure Schenkel legt.
Das wird die Stunde meiner Rache, ja. Ihr werdet es probieren, mein hauchdünn geschnittenes Herz in einem Sud aus Hoffnung und Lust, serviert mit gemischten Gefühlen und einem Schaum von Wut und Verzweiflung über euch und eure archaische Angst vor der Befruchtung, die euren Blick nach unten sinken lässt, wenn ihr mich passiert. Es wird euch schmecken, meine Lieben, weil ihr den höheren Zweck nicht erkennen werdet, weil mein Gericht in einer Atmosphäre der Arglosigkeit an einem schönen Freitagabend hübsch arrangiert vor euch platziert wird. Es wird gut sein, ihr Süßen, eine Speise die euch verführen wird, nach der ihr süchtig sein werdet, die ihr brauchen werdet wenn ihr sie einmal gekostet habt. Ihr werdet verrückt sein nach mir, nur weil ich ein paar Worte gesagt habe, die getroffen haben, wirklich getroffen, mitten ins Herz.

Stark wird mein Ich-Erzähler sein, und unnachgiebig und wortkarg, weil er nicht viel sagen muss. Sein Blick allein spricht mehr als tausend Worte, die er nicht braucht, weil sein Sinnen so klar ist und einfach und archaisch, dass keine Worte nötig sind. Und wenn er doch spricht, ist jeder Satz wie eine nicht umkehrbare Handlung, etwas, das passiert ist und eine Spur hinterlässt, etwas, das selbst als Echo noch immer ungeheuerlich ist und dein Leben verändert. Ja. Du wirst es sehen. Haha. Er wird die Projektion deines schwachsinnigen Männerbildes, meine Liebe, und du wirst von ihm träumen. Du, die sich aufregt über Comics mit großbrüstigen Superweibern, aber selbst auf den Märchenprinzen wartet. Die Trinity und Pamela Anderson und Lara Croft für armselige Männerprojektionen hält, Phantasien eines Geschlechts, das seiner tumben Bestimmung zur Befruchtung nachkommen muss, wo es geht und steht. Während du über diesen Dingen stehst, ja, mit deinem Lippenstift von Elizabeth Arden, Farbcharge Wildfeuer, dem dünnen Kajalstrich der deine Augen betont und den du viermal hast korrigieren müssen in deiner knappen Stunde vor dem Spiegel, farblich kombiniert mit dem Hauch eines Lidschattens, den selbst deine Freundinnen nur ahnen, deiner Grundtönung Bronze im Gesicht, die ein wenig glitzert, den gerougten Wangen, die dir die schüchterne Aufgeregtheit eines Mädchens von achtzehn Jahren verleihen. Das Ganze kombiniert sich in deinem Antlitz zu einer perfekten Melange aus Sex, Jungfräulichkeit und Schönheit, die ich nicht bewusst bemerke, weil du alles so gekonnt reduziert einsetzt, aber ich fühle es und verfalle diesen Reizen, vollkommen, die für dich ohne Zweck, nur aus Gewohnheit geschehen. Du machst das halt. Aber nur für dich. Warum? Brauchst keine Männer? Vielleicht hast du ja recht?

Vielleicht ist es ja richtig, sich mit der Freundin im Cafe zu treffen und sich um nichts drum herum zu scheren. Vielleicht brauchst du ja wirklich niemanden. Du brauchst keine Blickkontakte. Du willst niemanden kennen lernen. Deine Lust ruht durchaus mal ein paar Tage. Oder Wochen. Oder Monate. Du brauchst das nicht. Das ist ja der Unterschied zwischen uns Männern und euch Frauen. Unsere Lust hat ein eigenes Wesen, führt ein selbständiges Leben. Ist unabhängig, überparteilich, arbeitet oft auch gegen uns. Eure Lust hat keine eigene Persönlichkeit. Sie ist ein Anhängsel eurer Projektion von Liebe, ein Erfüllungsgehilfe, mehr nicht. Du hast erst Lust, wenn es jemanden gibt, den du fürs Lustmachen auserkoren hast. Wir haben immer Lust und müssen jemanden suchen, der diese Lust mit uns teilt. Wenn du aufschaust, von deinem Gespräch mit der Freundin im Café, dann ist es der Hintern einer anderen Frau, den du taxierst. Wie sie sich anzieht. Ob sie sich das erlauben kann. Männern blickst du nicht nach.
Ich weiß, dass du in den Club zum Tanzen gehst, nur zum Tanzen. Und das Letzte, was du brauchst, ist eine blöde Anmache. Aber warum tanzt du dann nicht bei dir in der Küche? Beim Duschen in der Wanne? Wozu brauchst du die Öffentlichkeit? Was willst du damit? Ist irgendwo in den verästelten Wirrungen deines Instinktes noch hängen geblieben, dass du den Besten suchen musst? Einen, der den Widrigkeiten des Lebens trotzen kann, Genmaterial, das durchsetzungsfähig ist? Ah, ja?

Voilá! Da bin ich. Der Typ, der vorher auf der Bühne war, der gewonnen hat. Und die Figur seiner Geschichte hat dir echt gefallen. Wenn alle Männer so wären.
Ich trage einen faltigen Anzug, der nicht wirklich gut sitzt, Konfektionsware, grau, kein auffallender Stoff. Ich weiß, dass du so was erkennst. Mein blau gemustertes Hemd ist knittrig, sicher hab ich es gestern auch schon angehabt, drunter trage ich ein T-Shirt, dessen Rundkragen hervorblitzt, weil die zwei letzten Knöpfe geöffnet sind. Das fällt alles nicht weiter auf, weil die meisten Typen schlecht angezogen sind. Ich sehe durchschnittlich aus, auch jetzt aus der Nähe, das hat er richtig beschrieben, denkst du. Immerhin ehrlich. Die Haut fahl, soweit man das hier unten beim Tanzen erkennen kann, man riecht, dass ich zuviel rauche. Meine Zigaretten sind filterlos, die schönen Hände ohne Ringe. Ich habe eine Plastiktüte in der Hand, eine Plastiktüte, wie man sie am Gemüsestand bekommt, ganz dünnes, weißes Plastik, und du bist dir nicht sicher, ob sich darin nicht wirklich der letzte Gemüseeinkauf befindet, den ich heute hier auf die Lesung mitgebracht habe, weil ich vielleicht nicht daheim war. Oder hab' ich mir das Essen von oben einpacken lassen? Ich habe eine tiefe, angenehme Stimme und spreche nicht laut, wenn ich vor dir stehe. Ich werde dir eine Allegorie auf das Glück geben, dass es für mich bedeutet, dich hier entdeckt haben zu dürfen. Ich werde dich Siezen während dich meine Blicke penetrieren. ‚Glauben Sie an den Zufall? Ist es Glück, dass uns der Zufall hier zusammenbringt, oder ist es die Vorhersehung, die unser Glück steuern will', werde ich dich fragen und deine Freundinnen, mit denen du zusammenstehst, werden mitgehört haben. Ihr drei seid euch noch nicht sicher, ob man den Typen weitermachen lassen soll, seine Geschichte war nett, hat sogar den Preis gewonnen. Sicher ist die Figur autobiografisch.
Ich bin souverän, flirte mit euch allen, amüsiere euch, und lasse dich trotzdem spüren, dass ich nur dich will. Schon habe ich uns Cocktails bestellt und du bist ganz froh, weil ich euch einlade und also nicht so abgebrannt bin, wie ich aussehe. Ich habe einen Martini-Cocktail bestellt, wenn die Bar vor Ort das hinkriegt, der ist stark und eigen, du hast so was noch nie getrunken und weißt deswegen auch nicht, dass das der pure Alkohol ist und mans nicht schmeckt und ich stoße mit euch an ohne einen Toast auszusprechen. Man spielt gemischte Musik und bei einem Midtempo-Stück werde ich dich zum Tanz auffordern, ohne zu fragen. Ich nehm' dir den Cocktail aus der Hand und führe dich; du sträubst dich zuerst. Keiner tanzt Paar hier, es ist dir ein bisschen peinlich. Wir bewegen uns, das fühlt sich harmonisch an. Dein Gegenüber führt dich gut, du musst nichts machen und an den Blicken deiner Freundinnen merkst du, dass sie dich beneiden. Du spürst, wie ich dich zu riechen versuche, wie ich deinen Duft langsam in mich einatme. Als ob ich dich einsaugen wollen würde. Mein Verlangen turnt dich an. Ich spreche Zauberworte, die deinen angeborenen Widerstand aufweichen.

Ich fummle dich nicht an wie so eine Salsanummer, die im Ausfallschritt versucht, intim zu werden. Ich halte den Abstand, den du jetzt noch erwartest. Meine Linke hält deine Rechte, die andere Hand liegt auf deinem Rücken und du spürst, wie von hier aus Wärme oder so etwas ähnliches strahlt, du kannst es nicht beschreiben, ein eigenartiges Gefühl, wie bei einer Prüfung, früher, in der Schule. Du verfällst mir gerade und weißt es nicht und wünscht dir schon, dass sich die Hand am Rücken bewegte, weil sie dich nur knapp unter deinem Rückendekoltee berührt und du meine Finger auf deiner Haut spüren willst. Es ist wie Schwindel, alles zieht an dir vorbei, die Farben, die Formen, obwohl wir uns nur ganz langsam drehen, es ist für dich, als ob nichts mehr im Raum existieren würde außer unsere Drehung und meine Hand auf deinem Rücken, als wären wir beide der Mittelpunkt der Welt, das um was es geht, und das ist auch so. Ich merke das und nur Daumen und Zeigefinger sind es, die über den im Rund geschnittenen Saum deines Tops auf den Rücken rutschen. Dir schaudert und ich spüre dich erzittern und schaue in deine schönen Augen. Dein Blick hat sich schon längst verfangen, und wir beide wissen, dass wir zusammen gehen werden.

Unsere Zukunft? Wie es weiter geht.? Ich bin der verständnisvolle Zuhörer, der dein Beziehungsgequassel erträgt, wenn du von Dingen sprichst wie an-der-Beziehung-arbeiten und Nähe-zulassen-können. Ich weiß sogar, was das bedeuten könnte. Ich gehe nicht immer auf dich ein. Hör mir das nicht immer an. Im entscheidenden Moment aber fühlst du dich verstanden. Ich habe einen knackigen Arsch - obwohl ich so unscheinbar aussehe. Das merkst du erst, wenn du mit mir im Bett liegst. Es gibt noch andere anatomische Eigenheiten, die dich überraschen und die du nach dem dritten Glas Prosecco kieksend deinen beiden besten Freundinnen erzählen wirst, das nächste Mal im Café. Ich lese drei Tageszeitungen inklusive Wirtschafts- und Sportteil sowie Feuilleton. Ich arbeite in leitender Funktion an einer Sache, die man schwer erklären kann - ziemlich erfolgreich. Ich spiele recht gut Klavier ohne das ein Flügel bei mir in der Wohnung stände - obwohl die Wohnung groß genug wäre. Überhaupt ist meine Wohnung sehr reduziert eingerichtet - aber in einem ganz persönlichen Stil. Keine dieser Design-Schabracken, kein Barcelonastuhl, kein Eames, kein Corbusier-Sessel. Den großen Esstisch hab ich nach eigenen Entwürfen in der Schreinerei machen lassen. Deine Eltern sind begeistert von mir.
Du spürst, dass es da etwas gibt in mir, an das du nicht rankommst, das schwer verletzt wurde, das auf der Suche nach Halt ist. Das multipliziert deine Liebe nur. Ich kann gute Salate machen, meine Dressings sind ein Hammer, trotzdem esse ich zuviel Fleisch. Ich nehme dich auch im Stehen.

Wenn die Verliebtheit vorbei ist setz' ich dich vor die Tür und such mir die Nächste. Das wird keine sechs Monate dauern. Du wirst das Gefühl haben, als würde ich dir das Herz ausreißen, jetzt, wo es anfängt. Warum lasst ihr uns auch ständig den Kasperl spielen?