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Silke Andrea Schuemmer: 37° im Paradies 

Mein Liebster gehört mir. Er hat mich im Baumarkt gesehen, als alle anderen an mir vorübergingen. Und als er mich dort wegholte, wußte ich gleich: es ist Liebe. "Na du", summte er und kam ganz nah an mich heran, "wer bist denn du?" ich wagte nicht, mich zu rühren und hielt ganz still. Er hat mir vom ersten Moment an gefallen. Er ist groß und muskulös, und ich ahnte gleich, daß er Zuhause am liebsten in Shorts oder ganz kurzen Jeans herumläuft, so nackt wie möglich. Sein Atem fühlte sich warm und feucht an, und ich zitterte. Er befühlte mich mit ganz vorsichtigen weichen Fingerkuppen. Und dann hob er mich hoch und nahm mich mit. Er schnallte mich sogar an im Auto. Er fuhr vorsichtig in die Kurven hinein, und auf dem Weg nach Hause murmelte er, daß er sich gleich in mich verliebt hätte und daß er mir alles geben würde, was ich brauche. Am liebsten hätte ich gekeimt vor Glück und mich an ihn geschmiegt, aber ich wollte ihn nicht erschrecken. Menschen sind manchmal etwas nervös in unserer Gegenwart, Männer vor allem. Daß er mich Liane genannt hat, naja, aber es lag ja nahe.
Zuhause trug er mich vorsichtig in den zweiten Stock und pflanzte mich in einen großen bunten Keramiktopf neben dem Fenster. "Wirst sehen", sagte er, "in einer Weile bist du schon so groß wie das Regal", und er hämmerte Nägel in das Holz, an denen ich mich hochziehen konnte. Er verschwand in der Küche und kam ein paar Minuten später mit zwei Kannen zurück, Tee für ihn und angewärmtes Wasser mit Dünger für mich. "Ich hab den grünen Zauberdaumen", sagte er, "hier wirst du nicht verdursten, du sollst es haben wie im Urwald." Ich neigte mich etwas, um ihm ein Zeichen zu geben und streckte mich nach dem ersten Nagel.
Mein Liebster und ich passen perfekt zusammen. Er rückte gleich seinen Lehnstuhl vor das Regal, und während er Motorzeitschriften oder Comics las, baumelte seine Hand neben dem Sessel, und schon bald, begann er, mich zu streicheln, ganz sachte an meiner rauhen, leicht moosigen Haut auf und ab, und ich raschelte vor Glück und wollte ihn am liebsten umschlingen.
So ging das eine ganz Weile bis die Semesterferien vorbei waren. Er packte die Zeitschriften weg und schleppte Wäschekörbe voller Bücher in seine Wohnung. Neben dicken Wälzern über Chaostheorie und Elementarteilchen war auch immer wieder etwas für uns beide dabei, "Die Seele der Pflanzen" zum Beispiel oder "Vegetation des Amazonas". Das las er abends im violetten Licht meiner Nachtlampe. Mittlerweile konnte ich ihm locker über die Schulter sehen, und manchmal, wenn er besonders vertieft in seine Lektüre war, löste ich ganz langsam ein dünnes, junges Ästchen vom obersten Nagel und ließ es hinabgleiten, über seine Schulter hinweg zu seinem Hals, wo das Hemd aufhörte, und ich seine nackte Haut fühlte. Er bemerkte es meistens nicht einmal, aber wenn, dann nahm er die zarten Blättchen ganz sachte zwischen die Finger, streichelte mich und manchmal hauchte er mir einen heißen, feuchten Kuß auf, der mir durch den ganzen Stamm ging und bis in die Wurzeln fuhr. "Ach Liane", seufzte er dann, "wär nur noch jemand anders so begeistert von mir wie du." Ich wußte gar nicht, was er wollte. Er sah toll aus, das Studium lief prima, das bekam ich mit, wenn er es seinen Eltern am Telefon erzählte, und abends saßen wir zusammen und lasen und streichelten uns. Aber ihm reichte es nicht. Er wollte Fleisch. Er wollte eine Frau.
Und so brachte er eines Tages Suse mit nach Hause. Ich haßte Suse. Sie hatte riesige Brüste und drückte ihre Zigarettenstummel auf mir aus. Babette, die eine Woche später mit meinem Liebsten erschien, war auch nicht besser, die kippte mir irgendetwas Hochprozentiges in den Humus, und außerdem redete sie ununterbrochen, selbst wenn sie mit wippenden Brüsten auf ihm ritt und sich dabei an mir festhielt. "Ach Liane", murmelte er jedesmal, wenn sie gegangen war, "sie spricht soviel, und ich glaube, sie versteht mich gar nicht, wenn ich mal etwas sage." Ich versuchte, ihn zu trösten und ließ einen Arm leicht auf seinen Kopf sinken, denn inzwischen war ich bis zur Decke gewachsen, breitete mich nach links über das Bücherregal aus und tastete mich rechts auf der Gardinenstange vorwärts. Er hauchte gegen meinen Stamm, manche mögen das Chlorophylabgabe nennen, für mich waren es die heißesten Küsse, die ein Mann je geküßt hat.
Der Sommer war schwül, und mein Liebster kam mit dem Gießen gar nicht mehr nach. Zuhause lief er meistens im Slip herum, die Blicke der Nachbarn waren ihm egal und mich störte der Anblick natürlich als allerletzte. Schwer atmend saß er unter mir in seinem Sessel. Nicht so keuchend, wie wenn er zwischen Maggies Schenkeln lag und nach Luft schnappte, sondern völlig zufrieden und entspannt. Draußen flogen Mücken gegen das erleuchtete Fenster. "Lianchen", flüsterte er und sah bewundernd zu mir hoch, "wie du das schaffst, dieses ständige Wachsen, dabei warst du so kümmerlich im Baumarkt. Aber ich hab dich ganz schön aufgepäppelt mit meinem grünen Zauberdaumen. Und weißt du was?" Ich neigte mich ihm entgegen, das klang wichtig, und ich wollte bloß nichts verpassen. "ich glaube du hast eine Dusche genauso nötig wie ich. Bald bist du eh zu groß dafür, also auf." Er löste meine Arme von den Nägeln und der Gardinenstange und trug mich schwer keuchend ins Bad und stellte mich in die Duschtasse. Dann zog er sich aus.
Mein Liebster hat Pobacken, da möchte man dran emporzüngeln und dazwischen weg wachsen. Und als ich mir vorstellte, wie ich dann bauchwärts wieder auftauchen und mich um seinen Schößling herum schlängeln würde, schüttelte es meine Spitzen vor Erregung, und ich wollte nur noch, daß er zu mir in die Dusche stieg und mir ganz nah war. Er stellte das Wasser auf lauwarm und ließ es auf uns herabregnen. Ich war durstig und trank und fühlte wie die Kraft in meinen ganzen Körper floß. Fast kam es mir vor, als müßte es jeden Moment im Badezimmer ein Gewitter geben, so groß war die Spannung zwischen ihm und mir. Auch er spürte das wohl, denn dicht an meinem Stamm fühlte ich seinen plötzlich emporwachsen. Ich rieb mich an ihm und hätte gerne daran gesogen wie meine Wurzeln gierig das Wasser schlürften, das in den Humus eindrang. Er lehnte sich gegen die Kacheln an der Wand, schloß die Augen und atmete heftiger. Seine Hände übernahmen das, was ich gerne getan hätte, also stand ich einfach da im lauwarmen Regen und sah ihm fasziniert zu. Ich hatte ihn auf Suse gesehen, in Sarah, lutschend an Miriam und Babette den Mund zuhaltend, wenn sie sich zum Gipfel quasselte, hektisch wie ein Kolibri, aber noch nie war er mir in einem lustvollen Moment so nahe gewesen. Ich ließ einen dickeren Arm zwischen seine Beine gleiten, bis zu den Knien, höher kam ich leider nicht, das wäre ihm nicht mehr zufällig vorgekommen. Mein Liebster keuchte, leckte sich über die Lippen, sein Gesicht bekam einen überaus konzentrierten Ausdruck, wie immer, wenn er ein neues Düngeprodukt gekauft hatte und mir das erste Stäbchen vorsichtig in den duftenden Humus schob. Und dann brach es aus ihm hervor, ich wußte, was in ihm vorging: das Gefühl der Photosynthese ist ähnlich.
Ich schmiegte mich eng an ihn, als er mich schließlich wieder ins Wohnzimmer trug, stöhnend, denn ich war durch das Wasser viel schwerer als vorher. Sorgfältig hängte er meine Äste an die Nägel, legte sie über Buchrücken und über die Gardinenstange und schlief bald in seinem Sessel ein, bewacht von mir.
Ich hatte gedacht, er hätte endlich verstanden, daß man sich lieben kann, auch wenn man einer ganz anderen Art angehört, daß man sich viel Lust geben kann, wenn man nur Wege sucht, ich hatte gedacht, er sei glücklich mit mir und würde nie wieder eine Frau mit in unsere Wohnung bringen. Aber ich hatte mich geirrt. Wenige Wochen später betrog er mich wieder.
Die Frau sah aus wie alle anderen auch. Weiße Brüste, eine weiche, weiße Haut, kein bißchen grünlich, und nur ein winziges Stückchen Sumpf versteckt zwischen ihren Schenkeln, nicht zu vergleichen mit den Sümpfen, an die ich mich mit jeder Faser erinnerte und die ich zwischen meinen Wurzeln entstehen lassen konnte. Sie hieß Zoe und sie kam jedes Wochenende. Nach mehreren Monaten lag sie einmal hingebreitet über ihm auf dem Wohnzimmerteppich, ihr Gesicht zwischen seinen Schenkeln vergraben, daß ich ihren zuckenden Hintern sah und mir vorstellte, wie ich ihn mit meinen stärksten Armen auspeitschen und rote Striemen auf ihm zurücklassen würde. Später als das Geschnaufe und Gewimmer auf dem Fußboden gar nicht mehr aufhörte, überlegte ich, ob ich mein Gewicht verlagern und mit aller Wucht vornüber stürzen sollte, genau auf ihre schmale, zerbrechliche Taille. Aber mein Liebster lag ja auch noch unter ihr, und ihm könnte ich nie etwas tun. Grinsend wie die Makaken lagen die beiden hinterher auf den Teppich und seine Hand tastete sich den Bauch der Frau hinunter. Sie fing an zu kichern und zwitscherte "Nochmal geht das jetzt nicht, echt nicht". "Laß mich mal machen", säuselte er zurück, "ich hab den Zauberdaumen." Das war zuviel, das war unser Satz, den durfte er nur zu mir sagen. Ich nahm einen Arm vom Regal und stürzte mich in Richtung des Fensters. Der bunte Tontopf zerbrach unter der Wucht meiner Wurzeln, und der lose Humus bedeckte den Teppich. Mein Liebster und die Frau sprangen auf. "Ach Gott", stammelte er, "da hat Liane wohl das Gleichgewicht verloren. Langsam wird sie zu groß für die Wohnung." Die Frau zog sich schnell an, und mein Liebster schlüpfte in seine Shorts, brachte sie zur Tür und versprach, sie anzurufen, wenn er das Chaos hier beseitigt hätte.
Er hat die Frau nie angerufen. Ich wartete bis er zur Putzkammer ging, um ein Kehrblech zu holen. Mein Liebster hat keine Ahnung wie ich gewachsen bin, seit er mich in die Dusche mitgenommen hatte. Ganze Äste habe ich hinter dem Buchregal versteckt. Einer davon schnellte vor und verriegelte mit seinem starken Holz die Tür. Auch das Fenster kann niemand mehr öffnen, seit ich mich von der Gardinenstange gerollt und um den Griff geklammert habe. Ich weiß, daß es in dieser Wohnung keine Axt gibt, und die biegsamen Messerchen aus der Küche, mit denen mein Liebster seine Morzarellakugeln zerschneidet, können mir nichts. Arm um Arm rollte ich hervor, und breitete mich in dem ganze Zimmer aus. Ein paar Lampen fielen um, das Telefonkabel riß ich aus der Wand, nichts Ernstes. Mein Liebster stürzte wieder herein und wurde kalkweiß. Menschen, vor allem Männer sind oft etwas nervös in unserer Gegenwart. Das gibt sich.
Ich näherte mich ihm ganz vorsichtig, mit zarten Blättern rankte ich an ihm empor, strich endlich an seiner Wurzel entlang, durch die zarte, rötlich gekräuselte Vegetation darum und verhakte mich im Bund seiner Shorts. Langsam zog ich sie herunter. Nichts sollte uns mehr trennen, keine Frauen vor allem, aber auch kein Fetzen Stoff mehr. Er ließ es geschehen, einige male drehten sich seine Augäpfel nach oben, so daß ich nur noch das Weiße sehen konnte, dabei knickte er leicht in den Knien ein, aber er fing sich jedes mal wieder. Ich umfing ihn mit meinen tastenden Blättern und führte ihn zu mir. Und schließlich stand er ganz nah bei mir, schwer atmend, Chlorophylküsse, die ich genoß, bis ich merkte, daß er hyperventillierte, und ich ihm dem Mund zuhalten mußte, damit er wieder zur Besinnung kam.
Wir leben in der perfekten Symbiose. Ich habe die Wurzeln  tief in den Teppich getaucht, absterbende alte Astspitzen verrotten zu Sumpf, aus dem ich wieder neu emporwachsen kann Die Heizung habe ich auf paradiesische 37° hochgestellt. Wenn ich trinken muß, drehe ich den Hahn in der Küche auf. Ich wachse ständig. Ich forme ihm ein Bett aus Blättern, ich ernähre ihn mit Keimlingen und Rinde, ich wachse um ihn herum und durch ihn hindurch. Mein Liebster gehört mir. Niemand wird uns jemals wieder stören.